Content

Biographical and bibliographical information on the book trades
Home - key to pages | References and abbreviations | Data format | About this website | Freshest advices | Contact

10 August 2025

Weimar: die geistige Hauptstadt Deutschlands

 Weimar - die geistige Hauptstadt Deutschlands.

Umgeben von sanften grünen Hügeln und ausgedehnten Parkanlagen, durchflossen von dem eilig dahin strömenden Flüsschen Ilm, liegt Weimar, die Stadt der klassischen deutschen Literatur. Die großen Dichter und Humanisten Goethe, Schiller, Herder und Wieland begründeten im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts den Weltruf Weimars, machten die thüringische Stadt durch ihre Anwesenheit zum Zentrum deutschen Geisteslebens, zur unbestrittenen schöngeistigen Hauptstadt Deutschlands.

Wie kam es dazu, daß das kleine Residenzstädtchen die bedeutendsten Männer Deutschlands in seinen Bann zog und dank ihnen aus der Anonymität in den Rang einer Weltstadt emporgehoben wurde, in die nach 1790 Künstler und Gelehrte aus ganz Europa zu strömen begannen? Schließlich zeichnete sich die Stadt weder durch eine bevorzugte landschaftliche Lage, noch durch den Reichtum des regierenden Fürstenhauses, den Wohlstand und das Kunstinteresse ihrer Bürger und auch nicht durch die Pracht ihrer öffentlichen Gebäude, ihre Plätze und Parkanlagen aus. Mitte des 18. Jahrhunderts war Weimar eine Residenz wie unzählige andere in dem in Hunderte von Kleinstaaten zerrissenen Deutschland: arm bescheiden, ohne ein großes prunkvolles Schloss, ohne bedeutende Kirchen und Kunstsammlungen, so sehr sich auch einige fürstliche Landesherren bemüht hatten, das dürftige Aussehen des Ackerbürgerstädtchens durch den Bau von Schlössern und die Anlage barocker Gärten zu verbessern.

Von den Verhältnissen, die um 1750 in dem nur von 6000 Einwohnern bewohnten Weimar - das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach zählte kaum 100 000 Seelen – geherrsct haben, gibt u.a.ein Mandat, über die Sauberkeit Auskunft: „Der Kot in der Stadt wird durch die Mistfuhren veranlasst. Wer keine Torfahrt hat, soll den Mist außerhalb der Markttage auf die Gassen hinausschaffen, nicht über Sonn- und Feiertage auf den angewiesenen Plätzen liegen lassen. Schweine soll man nicht ungescheut auf den Gassen herumlaufen lassen.“

Mitte des 18. Jahrhunderts lässt sich Weimar daher in keiner Weise mit den großen deutschen Zentren wie Frankfurt, Hamburg, Leipzig und Dresden und derem regem Kultur- und Wirtschaftsleben vergleichen. Und doch hatte die kleine Stadt schon einmal, wenn auch nur vorübergehend, eine kulturelle Blütezeit in vergangener Zeit erlebt. Zwei Künstler von Weltgeltung verbrachten hier Jahre, die für ihre persönliche und künstlerische Entwicklung von schicksalshafte Bedeutung waren: Lucas Cranach und Johann Sebastian Bach.

Anno 1547 verliert Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen, der Beschützer des lutherischen Glaubens, in der Schlacht bei Mühlberg gegen Kaiser Karl V. nicht nur die Freiheit, sondern auch den Großteil seiner Besitzungen. Nur die thüringischen Landesteile mit der Stadt Weimar, die er zur neuen Hauptstadt erwählt, bleiben ihm. Weimar, bis dahin völlig im Schatten Wittenberges stehend, wird nach der Freilassung des Kurfürsten Residenzstadt des neuen Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach.. Mit dem Kurfürsten kommt 1552 auch Cranach, der Maler der deutschen Reformation, nach Weimar. Schon ein Jahr später verstirbt der Achtzigjähriger in dem noch heute erhaltenen stattlichen Renaissancebau am Markt. In den ihm verbleibenden letzten Jahr beginnt er am dreiteiligen Flügelaltar für die Stadtkirche Sankt Peter und Paul zu arbeiten, der von seinem Sohn vollendet wird.

Die Reinigung der deutschen Sprache und die Loslösung der deutschen Dichtung von fremden Einflüssen setzte sich die 1617 in Weimar gegründete „Fruchtbringende Gesellschaft“, auch „Palmenorden“ genannt, zum Ziel.. Sie verschafft Weimar erstmalig Bedeutung im deutschen Kulturleben, zu ihren Mitgliedern zählen u.a. die Dichter und Gelehrten Opitz, Logau und Gryphius.

Einen weiteren Höhepunkt stellt der Aufenthalt von Johann Sebastian Bach (1685-1750) in der Stadt dar. Als Hoforganist und Mitglied der Hofkapelle nach Weimar berufen, verlebt er hier vom 1708 bis 1717 Jahre volle Schaffensdrang. Zahlreiche Kantaten, Orgelmusiken, Präludien, Fugen und Fantasien entstehen, seine berühmte Söhne Wilhelm Friedemann und Carl Philipp Emanuel werden in der Stadt geboren. Doch Bach hält es nicht in Weimar. Als der Herzog ihm den erhofften Kapellmeisterposten versagt, kommt es zum Streit. Bach erhält vier Wochen Kerkerhaft und verläßt voller Zorn Weimar, um nach Köthen zu gehen. Leider ist sein damaliges Wohnhaus am Markt nicht erhalten.

Der wirklich großer geistiger Aufschwung kommt für das kleine Städtchen erst durch die Berufung Johann Wolfgang Goethes (1749-1832) im Jahre 1775. Nur wenige dürften wie Wieland schon damals geahnt haben, wie folgenreich sein Aufenthalt für die Geschichte der Stadt werden sollte: “Und wenn es möglich ist, dass aus Weimar was Gescheites werde, so wird es seine Gegenwart wirken.

Immerhin hatte sich, als Goethe in November 1775 mit einer Postkutsche aus Frankfurt in die Stadt einfuhr, dank der kunstsinnigen Herzogin Anna Amalia in den letzten Jahren eine Entwicklung auf geistig-kulturellen Gebiet vollzogen, die Weimar weit über das Niveau anderer deutscher Residenzstädtchen hinauswachsen ließ. Anna Amalia, eine Nichte Friedrich des Großen, die 1758 nach dem frühen Tode ihres Gatten die Regentschaft für den einjährigen Sohn Karl August übernommen hatte, war eine starke Persönlichkeit, den geistigen Strömungen ihrer Zeit und damit auch den Ideen der Aufklärung gegenüber aufgeschlossen.. Sie ließ es sich Angelegen sein, die bekanntesten Literaten, Künstler und Gelehrte an den Weimarer Hof und die benachbarte Jenaer Universität zu ziehen. Auf diese Weise förderte sie - gewiß zum Teil unbewusst - die große kulturelle Bewegung des sich emanzipierenden Bürgertums. Mit seiner betonten bürgerlichen Lebenshaltung und seinen künstlerischen Interessen - die Herzogen zeichnete und komponierte selbst - stand ihr Hof in völligem Gegensatz zum Pomp und zur geistigen Leere in anderen deutschen Residenzen. Im schlichten, aber Mit sicherem Geschmack eingerichteten Wittumspalais - das sie nach 1775 nach der Niederlegung der Regentschaft bezog - tagte die berühmte Tafelrunde, der anfangs u.a. Wieland, Goethe und Herder, später auch Schiller, Jean Paul und der Engländer Charles Gore angehörten, saßen die Vertreter des Adels und des geistigen Bürgertums gemeinsam am Tisch und erörterten Probleme der Kunst, Wissenschaft und Literatur. Die kleinen Schlößchen Tiefurt und Ettersburg bei Weimar, deren Parks die Herzogin in englischen Stil umgestalten ließ, werden zur Stätte humaner Geselligkeit: man pflegt die Hausmusik, unterhält ein Liebhabertheater, gibt ein literarisches Journal heraus und inszeniert kleinere Theaterstücke. Ein Besucher Weimars, Graf Christian von Stolberg, schrieb über die Menschen an Anna Amalias Hof: „Man geht mit ihnen um, ganz als wären es unsereiner“. Die Herzogin sorgt auch dafür, daß die bedeutendsten Schauspielgruppen wiederholt zu Gastspielen nach Weimar kommen und jedermann freien Eintritt zu ihren Aufführungen erhält.

Auf ihren persönlichen Wünsch kommt 1772, der bedeutende Schriftsteller und Wortführer der deutschen Aufklärung Christoph Martin Wieland (1733-1813) nach Weimar, um dort - das Wunschbild eines aufgeklärten Staatswesen vor Augen - die Erziehung des Erbprinzen Carl August zu übernehmen. Schon ein Jahr später gibt er hier die einflussreiche deutsche Literaturzeitung, den „Teutschen Merkur“ heraus. In ihr wendet er sich scharf gegen die französische Überfremdung der deutschen Kultur und verleiht den Anschauen des gebildeten Bürgertums, das für geistige Freiheit und moralische Emanzipation im Sinne antiker Durch Ursprünglichkeit eintritt, Ausdruck. Auch als Übersetzer Shakespeares, Horaz’, Lukians und Cicero leistet Wieland Bedeutendes. Heute sind seine Romane u.a. „Die Abdrehten“, „Agathon“, und Schriften fast nur noch Gegenstand literaturwissenschaftlicher Analysen, damals waren es viel gelesene und bewunderte Werke. Besonders auf ästhetischem Gebiet befruchtet Wieland das schaffen Goethes, Herders und Schillers.

Als entscheidend für die ästhetischen Anschauungen des deutschen Bürgertums wirkten sich vor allem die von Winkelmann vorbereitete Aufnahme der Antike ins stoffliche und formale Hinsicht sowie die Ideen der englischen und französischen Aufklärung aus. Hatte die Kunst des Barocks und Rokoko der Herrschaft eine parasitären Feudalklasse Ausdruck gegeben ästhetischen, setzten nun die bürgerlichen Künstler ihren Ehrgeiz darein, „Einfachheit statt Luxus, Einfall statt Sinnenkitzel, Stille statt des protzigen Lärms, Natur statt Künstelei“ (Winkelmann) in deren ihren Werken zum Ausdruck zu bringen.

Während jedoch in England und Frankreich Kunst und Literatur einen entscheidenden Anteil an der Vorbereitung und Durchführung der bürgerlichen Revolution haben, erweist sich das deutsche Bürgertum also zu schwach, fällt ihm aufgrund wirtschaftlicher Rückständigkeit und territorialer Zersplitterung auch die ökonomische Grundlage, um seine Herrschaftsansprüche anzumelden und durchzusetzen. Nur im Bereich der ästhetischen und intellektuellen Diskussion wird eine Opposition spürbar. Die Kunst wird als ein Mittel betrachtet, die Menschen im humanistischen Sinn zu beeinflussen - die „Fürstenerziehung“ soll die Voraussetzungen für die notwendigen Reformen „von oben“ schaffen, die zur Entstehung einer humanistischen Gesellschaft notwendig sind.

Der Wunsch, in eben diesem Sinn ein Betätigungsfeld zu finden, das praktische, gesellschaftlich-politische Erfolge verspricht, ist es, der Goethe nach Weimar führt. Zunächst schwankt er noch, ob er sich hier für längere Zeit niederlassen soll, so verlockend auch die Angebote der nun regierenden Karl August für seine ganz auf Denken und Tun bestimmte Persönlichkeit sind,. Doch die Aussicht, in einem klar abgegrenzten Bereich, zusammen mit einem aufgeklärten Fürsten und einem Kreise betonten bedeutender Männer arbeiten zu können, die schließlich den Ausschlag für sein Bleiben. Als Dichter ist Goethe zu dieser Zeit - 1773 war „Götz von Berlichingen“, 1774 der „Werther“ erschienen - schon eine Berühmtheit in Deutschland, nun verlangt es ihn als Staatsmann und Politiker. Das „kleine Herzogtum“ wird für ihn „zum Schauplatz, um zu versuchen, wie einem die Weltrolle zu Gesicht stünde. Seine enge Freundschaft zu Carl August scheint ihm alle Wege zu öffnen, rasch steigt er zu den höchsten Staatsämtern auf: Goethe wird Präsident der Finanzkammer, beaufsichtigt Bergbau und Straßenbau, steht u.a. auch der Kriegskommission vor. In allen Ämtern versucht er, im bürgerlichen Sinne wohltätig zu sein, Not und Missständen abzuhelfen. Doch in den folgenden Jahren wachsen Skepsis und Vereinzelung, as Interesse an den Staatsgeschäften erlahmt. Goethe muss einsehen, daß zwar auf einigen Teilgebieten Verbesserungen zu erreichen sind, der Herzog aber trotz herzliche persönliche Neigung nicht gewillt ist, von den wesentlichen Interessen der feudalen Gesellschaft auch nur ein Stückchen Preis zu geben. Bald bekommt der „hergelaufene bürgerlicher“ Haß, Neid, Missgunst und Intrigen Der Hofkamarilla zu spüren.

Resigniert schreibt er im April 1782 an, dem freut Knebel: „So steige ich alle Ständer aufwärts, sehe den Bauermann der Erde das Notdürftige abfordern, das doch ein behaglich Auskommen wäre, wenn er nur allein für sich schwitzte. Du weißt aber, wenn die Blattläuse auf den Rebenzweigen sitzen und sich hübsch dick und Grün gesogen haben, dann kommen die Ameisen und saugen ihnen den filtrierten Saft aus den Leibern. Und so geht’s weiter, und wir haben es so weit gebracht, daß oben an einem Tag mehr verzehrt wird als unten an einem beigebracht werden kann.“

Etwa gegen 1785 sind die Illusionen, gesellschaftlich verändernd wirken und die Verhältnisse im Herzogtum verbessern zu können endgültig zerstoben. Von nun an verzichtet Goethe weitgehend auf eine aussichtslose Reformtätigkeit und widmet sich vorrangig seinem Künstlerischen schaffen und dem intimen Weimarer Freundeskreis zu dem vor allem die Herders, Knebel und Charlotte von Stein gehören.

Und doch bringt das erste Weimarer Jahrzehnt für Goethe Neben begrabenen Träumen auch glückliche Stunden, die für seine dichterische Arbeiten fruchtbar werden. In diesen Jahren fühlt er sich Charlotte von Stein eng verbunden, der er einige seiner schönsten Gedichte widmet, darunter das berühmte „Lied an den Mond“. Er beginnt die Arbeit an „Wilhelm Meister“ und an den Dramen „Iphigenie“, „Torquato Tasso“ und „Egmont“, in denen er das klassische bürgerliche Humanitätsideal verkündet. Viele Portraits und Landschaftsskizzen aus diesen Jahren zeigen, wie er sich auf zeichnerischen Gebiet zu vervollkommnen sucht. In der Natur- und Weltanschauungslyrik kommen vor allem ethische Vorstellungen, der Begriff vom „guten Menschen“ zum Ausdruck:

Edel sei der Mensch,

hilfreich und gut!

Denn das allein

unterscheidet ihn

von allen Wesen,

die wir kennen.“

heißt es in dem 1783 Entstandenen Gedicht „Das Göttliche“.

Auf Charlotte von Steins Wasserschloß Großkochberg, 30 km von Weimar entfernt, und in seinem geliebten Weimarer Gartenhaus an der Ilm findet Goethe die notwendige Entspannung von den Staatsgeschäften, reinigt er seine Seele von „Aktenstaub“ und „Hofdunst“ und findet „im reinen und ungetrübten Quell der Natur“ zu sich selbst zurück. Das nahe am Gartenhaus vorbeifließenden Flüsschen wird für ihn zur Quelle fortwährende Inspiration:

Meine Ufer sind arm, doch höret die leisere Welle,

Führt der Strom sie vorbei. manches unsterblicher Lied.“

Goethes Naturverbundenheit, die übrigens vom Herzog geteilt wird, und die Lage des Gartenhauses inmitten einer reizvollen Landschaft mit Steilhängen zum Fluss, weiten Wiesenflächen und schönen Durchblicken ließen Goethe und Carl August zu Schöpfer eines Werkes werden, das auch heute noch in jedem Winkel von ihrem Tun Zeugnis ablegt - Weimars Park. Gemeinsam mit Carl August sorgt Goethe für die Aufstellung malerischer Denkmäler, schlägt die Anordnung von Baumgruppen vor, entwirft die Baupläne für des Freundes Sommersitz an einen Ilmabhang, das „Römische Haus“, und schilt diesen, als er die ursprünglich geplante Treppengestaltung in eine „Hühnerstiege“ umgewandelt hat. Bald fügen sich auch romantische Bauten und Ruinen in die sinnvoll geformten Natur ein. Schon vor seiner Vollendung steht der Park allen Einwohnern und Gästen zur Erholung offen, für die damalige Zeit etwas Unerhörtes.

Auch das Aussehen der Stadt wandelt sich in diesen Jahren, nicht zuletzt durch Goethes tätige Beteiligung, auch wenn Weimar weiterhin einen kleinstädtischen Anstrich behält. An die Stelle der alten Befestigungsmauern und Gräben treten helle freie Plätze und aufgelockerte Grünanlagen. Im Stadtbild setzt sich der der klassizistische Baustil mit seinen klar gegliederten Fassaden und den für Weimar noch heute charakteristischen Dreiecksgiebeln durch. Es entstehen von Bäumen gesäumte Straßenzüge Wie die Esplanade (heute Schillerstraße), die Parkanlagen werden wesentlich erweitert, eine Bürger- und Zeichenschule eingerichtet, und das 1774 total niedergebrannte Schloß in vorwiegend klassizistischen Forme neu errichtet. Aber noch 1785 bezeichnet Herder „das Wüste Weimar“ als ein „Mittelding zwischen Hofstadt und Dorf, und die Französin Germaien de Staël äußert sich nach einem Aufenthalt „Weimar, ce n’était point une petite ville, mais un grand château.“ Und tatsächlich bleibt auch weiterhin der herzoglicher Hof mit seinen Ansprüchen bestimmend für die soziale Zusammensetzung der Weimarer Bevölkerung – zwei Drittel sind direkt, der Rest mehr oder weniger von ihm abhängig: „Unter den Menschen, die die Stadt bewohnen, ist bei weitem die größte Zahl einer Rasse vom kleinstädtischen Spießbürgern, welchen man weder die Verfeinerung einer Hofstadt noch sonderliches Wohlstand anmerkt. Alles lebt vom Luxus eines eingeschränkten Hofs, […] dessen geringerer Adel zum Teil Arm ist, zum Teil aus Gelehrten und schönen Geisten besteht, welche zu philosophisch denken um des Hofes wegen Aufwand zu machen. Weimar besitzt weder Fabriken, noch Handel, noch Passage [...]“ (aus einem zeitgenössischen Bericht aus dem Jahre 1795).

In einem Gedicht „Auf Miedings Tod“ gibt Goethe dieser eigenartigen Verquickung einer weit in die Zukunft weisenden Kunst und den und dem von Klatsch und Möglichkeit erfüllten Atmosphäre des Residenzstädtchens Ausdruck:

Oh Weimar! Die fiel ein besonderer Los:

Wie Bethlehem in Juda, klein und groß!

Bald wegen Geist und Witz beruft dich weit

Europens Europas Mund, bald wegen Albernheit [...]“

Mit Johann Gottfried Herder (1744-1803), war 1776 ein weiterer führender Vertreter der deutschen Aufklärung nach Weimar gekommen, um dort als oberste Beamter für die Kirchen- und Schulaufsicht zu wirken. Sein Haus hinter der Stadtkirche wird bald zu einem geistig-geselligen Mittelpunkt des Weimarer Geisteslebens. Herder - weniger eine originäre Dichterpersönlichkeit, aber genial als überreiche Anreger auf allen geistigen Gebieten war ein „Genie der Einfühlung“. Als Theoretiker des Sturm und Drang einer der Wegbereiter der literarischen Revolution des ausgehenden 18. Jahrhunderts, scheut der oberste Kirchenbeamter des Herzogtums selbst vor dem offenen Bekenntnis zur französischen Revolution nicht zurück. Kein Wunder, daß es für ihn mit der Zeit immer schwieriger wird, sich in die Zwänge einer - wenn auch relativ großzügigen und freisinnigen - fürstlichen Hof halten zufügen. 1789 schreibt er aus Italien, wohin er die Herzogin Amalia auf einer Reise begleitet hatte: „Und überhaupt, wie müde ich des Zusammenhangs mit Fürsten und Fürstinnen geworden bin, die immer unverständige Kinder bleiben, mag ich […] nicht sagen“. Seine letzten Lebensjahre bis zu seinem Tod im Jahre 1803 sind überschattet von Enttäuschungen, persönlichen Zerwürfnissen – u.a. auch mit Goethe und Schiller - und geprägt von der Enge der Weimarer Zustände. Ist auch von seinen eigentlichen dichterischen Arbeiten (Gedichte, Legenden, Parabeln) wenig lebendig geblieben, so hat er doch mit seinen historisch-genetischen und philosophischen Anschauungen, besonders der Auffindung des Entwicklungsgedanken in der Natur und Geschichte, vielen Entwicklungen des nachfolgenden 19. Jahrhunderts in der Philosophie vorgearbeitet. Von Herders in Weimar entstandenen Werken haben die „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“, die „Briefe zur Beförderung der Humanität“ und die „Stimmen der Völker in Liedern“ Weltgeltung erlangt. Seine Auffassung, daß nicht Bildung den Dichter mache, sondern Tiefe und echte Empfindungswahrheit der Darstellung. ursprüngliches, unverbildete Gefühl, Unmittelbarkeit wurden für die Entwicklung von Goethes lyrischen Schaffen und die Hinwendung zum Volkslied sehr bedeutsam. Herders bleibendes Verdienst ist die Förderung der Volksliedforschung und die Anregung zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Folklore der slawischen Völker Osteuropas. In deren unermeßlicher seelischer Fülle erblickte er ein neues Licht für die abwelkende Kultur Westeuropas.

Während Herder in seinen letzten Lebensjahren immer einsamer und verbitterter wird, sich aber nicht mehr von Weimar zu lösen vermag, hat für Goethe die Italienreise der Jahre 1786-1788, die fast eine Flucht gleicht, die Bedeutung einer geistigen und physischen „Wiedergeburt“, bringt sie ihn doch in die notwendige Distanz zu den engen, kleinlichen Verhältnissen Weimars. In Italien bildet und festigt sich seine Persönlichkeit zu ihrer klassischen Ausprägung: einer ausgeglichenen, harmonischen Persönlichkeit mit nun stärkerer Betonung der kontemplativen als tätigen Seite. In diesen zwei Jahren knüpft Goethe auch an unterbrochener literarische Produktionen wieder an, vollendet „Iphigenie“ und „Egmont“, setzt die Arbeit am „Tasso“ und an den ersten Teil des „Faust“ fort.

Nach der Rückkehr aus Italien wird für sein künstlerisches Schaffen etwas ab 1794 die Freundschaft und der enge geistige Austausch mit Friedrich Schiller (1759-1805) besonders fruchtbar. Mit dem Beginn dieser Freundschaft bis zum Tod Schillers wurde früher allgemein der Begriff der sogenannten Hochklassik in der deutschen Literatur verbunden. Heute ist diese Bezeichnung freilich heftig umstritten und erfährt gerade gegenwärtig wesentliche Modifikationen. Unbestritten bleibt jedoch, daß der Gedankenaustausch mit Schiller die theoretische Basis der deutschen Klassik festigt und sich die Ausarbeitung ihrer ästhetischen Konzeption in in den verschiedensten Arbeiten Goethes und Schillers niederschlägt. Der Mensch wird zum Mittelpunkt der Dichtung, wird als groß und schön beschrieben, an ihn knüpft sich das Ideal von Humanen, dessen Vorbild im antiken Geistesleben gesucht wird.

Schiller hatte sich nach Veröffentlichung seiner leidenschaftlichen, von revolutionären Geist getragenen Jugenddramen („Die Räuber“, „Don Carlos“, „Kabale und Liebe“) etwa ab 1788 intensiven historischen und ästhetischen Studien sowie der Beschäftigung mit der Lehre Kants zugewandt und ab 1789 einen Lehrstuhl für Geschichte an der Universität Jena angenommen. Der Wunsch, dem Freunde Nähe zu sein, am Weimarer Theater die Wechselwirkungen von dramatischer Dichtung und theatralischer Wirkung in der Praxis beobachten zu können, führt 1798 zur Übersiedlung nach Weimar. Schon 1787 und auch in den Jahren danach hatte er sich wiederholt dort aufgehalten. Neben dem dichterischen Schaffen Goethes und Schillers ist es wohl besonders ihr Einfluss auf die Entwicklung des Theaters, der die klassische Periode zum Höhepunkt in der Geschichte Weimars und die Stadt zur geistigen Metropole Deutschlands macht. Gemeinsam mit Schiller erarbeitet Goethe neue Grundsätze für die Darstellung, die sich insbesondere die Verschmelzung von Kunst und Leben, Bühne und Zuschauer zum Ziel setzen. Behutsam Soll das Publikum an die besten Werke und den lebensnahen Stil ihre Aufführung herangeführt werden: „Man bringe ihnen nach und nach durch das gute Gefühl und Geschmack für das Gute“ (Goethe).

Wie schlecht es zu dieser Zeit um den Geschmack des Weimarer Publikums und nicht nur um dessen bestellt ist, beweist sich daraus, daß die ganz auf äußeren Effekt bedachten Stücke des Vielschreibers Kotzebue Stürme der Begeisterung ernten und weit häufiger auf dem Spielplan stehen als Shakespeare, Goethe und Schiller. Immerhin finden die vom moralischen Pathos getragenen, die humanistischen Ideen verkündeten neuen Dramen Schillers in Weimar qualitätvolle Aufführungen und treten von hier aus ihren Siegeszug auf den deutschen Bühnen an. ien1798 beendet Schiller noch in Jena die Arbeit an „Wallenstein“, dem in den Jahren darauf „Maria Stuart“, „Wilhelm Tell“ und die “Jungfrau von Orléans“ folgen. Aus der Arbeit am „Demetrius“, das sein vollendetstes dramatisches Werk zu werden versprach, reißt den seit Jahren schwerkranken Mann 1805 der Tod.. Jahre später tritt auch Goethe von der Leitung des Theaters zurück - Intrigen und Querelen, die vor allen von Carl Augusts einflussreiche Mätresse Karoline Jagemann ausgehen, verleiden ihm die weitere Mitarbeit.

Nach dem Tod Herdes (1803), Schillers (1805) und Wielands (1813) zieht sich Goethe mehr und mehr in die Stille seines Arbeitszimmers im Haus am Frauenplan zurück. Schon 1792 hatte er sich endgültig in dem Stattlichen Barockbau, den ihm der Herzog zu eigen machte, niedergelassen und fortan dort zu seinem Lebensgefärtin und späteren Gattin Christiane Vulpius gelebt. Bis an sein Lebensende bleibt er diesem Haus verbunden. Seine Kinder und Enkel werden hier geboren und in dem schlichten Arbeitszimmer entstehen in den folgenden Jahren seine bedeutendsten Werke. Frei von fast allen früheren offiziellen Verpflichtungen - nur die Oberaussicht über das Bildungswesen u.a. die Bibliotheken, das Theater und die Jenaer Universität hat er sich vorbehalten - kann er sich nun völlig seinem poetischen Kunst, theoretischen und wissenschaftlichen Schaffen widmen. Auch die geliebten Sammlungen finden ihren Platz in dem weiträumigen Hause (u.a. Gemälde und Handzeichnungen, Abgüsse antiker Plastiken, italienischer Kleinplastiken und Majolika, Handschriften, Mineralien und Münzen). Goethes naturwissenschaftliche Forschungen führen zu wichtigen Resultaten, so schön 1784 zur Entdeckung des menschlichen Zwischenkieferknochens, später zum Metamorphosen- und Farbenlehre usw. Die Beschäftigung mit der Naturwissenschaft, das „Hineinsteigen ins Innere der Natur“, findet auch Eingang in sein literarisches Schaffen.. Von 1795-96 schreibt Goethe „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ nieder, Deutschlands berühmtesten Erziehungs- und Entwicklungsroman, 1808 den ersten Teil des „Faust“, es entstehen Der Roman „Die Wahlverwandtschaften“ und die weitgehend autobiografische Darstellung „Dichtung und Wahrheit“ in den Jahren 1811-1817, Werke, die Bestandteil der Weltliteratur geworden sind. In diesem nichts zum „Wohlleben, […] sondern zu möglicher Verbreitung von Kunst und Wissenschaft“ (Brief an Carl August Dezember 1806) eingerichteten Hause führt Goethe die denkwürdigen Gespräche mit Eckermann, aus denen seine Altersweisheit spricht? Hier vollendet er in seinen letzten Lebensjahren das „Hauptgeschäft“ - so bezeichnete er es selbst wiederholt - seines Lebens, die grandiose Faust-Dichtung, in der er in der Faust-Gestalt ein Sinnbild des schöpferisschen, gesellschaftlich wirkenden Menschen schafft. An seinen Freund Meyer schreibt er nach der Vollendung des Werkes: „So siegle ich’s ein, und dann mag es das spezifische Gewicht meiner folgenden Bände, wie es damit auch werden mag, vermehren [...] So wird es doch denjenigen erfreuen, der sich auf Miene, Wink und leise Hindeutung versteht. Er wird sogar mehr finden, als ich geben konnte.“ Und zu Eckemann äußert er im Gespräch: „Mein ferneres Leben kann ich nunmehr als reines Geschenk ansehen, und es ist im Grunde ganz einerlei, ob und was ich etwa noch tue.

Es wird einsam um Goethe. Gegenüber dem Hof wahrt er die notwendigen Höflichkeitsformen, den fehlenden geistigen Austausch in Weimar vermisst er nach Herders und Schillers Tod freilich sehr. Einen Ausgleich bringt der Strom der in- und ausländischen Gäste die etwa ab 1790, besonders aber seit 1800 nach Weimar reisen, um Goethe und den anderen Weimarer Größen ihre Huldigung zu erweisen. Aus dem nahen Jena, an dessen Universität die Anfänge der klassischen deutschen Philosophie gelegt werden, kommen die Philosophen Fichte, Schelling und Hegel; die Begründer der deutschen romantischen Schule - die Brüder Schlegel, Novalis, Tieck u.a. - sind häufig bei Goethe zu Gast. Jean Paul, der wohl größte deutsche Humorist, hält sich wiederholt Monaten lang in Weimar auf. Nach Weimar reisen die Gebrüder Humboldt, Arnim und Brentano, Hölderlin, Wilhelm Grimm, Carl Maria von Weber, Grillparzer und Heine. Aus dem Ausland treffen u.a. der dänische Märchendichter Andersen, Thackeray, Emerson, Madame de Staël und die geistige Elite Osteuropas, darunter auch der Pole Mickiewicz ein. Ein wenig willkommener Gast ist 1860 Napoléon, der in der Schlacht bei Jena zuvor das preußische Herr vernichtend geschlagen hat und sich danach einige Tage in Weimar aufhält, wo er sich längere Zeit mit Goethe unterhält.

Am 4. April 1832 stirbt Goethe. Was er für Weimar und für das ganze damalige geistige Deutschland bedeutete spricht aus Schellings Worten, mit denen er nach Goethes Tod seinem Empfinden Ausdruck gab: „Es gibt Zeiten, in welchen Männer von großartiger Erfahrung, unerschüttelich gesunde Vernunft und einer über alle Zweifel erhabenen Reinheit der Gesinnung schon durch ihr bloßes Dasein erhaltend und bekräftigend wirken [...] Deutschland war nicht verwaist, nicht verarmt, es war in aller Schwäche und innerer Zerrüttung groß, reich und mächtig vom Geist, solange Goethe - lebte.“***

Nach Goethes Tod verliert die Stadt die fünfzig Jahre lang das geistige Leben Deutschlands bestimmt hat, schnell an Bedeutung.. Biedermeierlichen Behaglichkeit mag sich allerorten breit, der am Hof herrschende Provinzialismus und Konservatismus tut sein Übriges dazu - bald mehren sich die Stimmen, die Weimar „einen literarischen Friedhof“, ein „Pompeji des deutschen Geistes“ nennen und ihm jede geistige Aktivität absprechen. Doch noch einmal ist der Stadt ein silbernes Zeitalter beschieden, als sich Franz Liszt ab 1848 für lange Zeit in Weimar niederläßt. Mit seinen Konzerten und Operninszenierungen - u.a. werden in Weimar die Frühwerke Richard Wagners uraufgeführt - macht er die Stadt zu einem musikalischen Zentrum. Musiker und Komponisten wie Berlioz, Borodin, Brahms, Smetana und Wagner scharen sich um ihn. Leider scheitert sein Plan, in Weimar, das heute in Bayreuth stehende Festspielhaus seines späteren Schwiegersohnes Richard Wagner zu errichten, an kleinlichen Intrigen und den begrenzten ökonomischen Möglichkeiten des Herzogtums.

Ende des 19. Jahrhunderts treten auch die bildende Künste neben Literatur und Musik - Richard Strauß wirkt in Weimar eine Zeitlang als Dirigent -, ohne jedoch europäischer Geltung zu erlangen. Die „Weimarer Malerschule“ gibt der realistischen deutschen Landschaftsmalerei wichtige Impulse, die bis weit in das 20. Jahrhundert hineinreichen. Nach der Jahrhundertwende, 1902, lässt sich der Belgier Henry van de Velde, der Meister des Jugendstils, in Weimar nieder und ebnet mit seinem Wirken den Weg zur Gründung des Staatlichen Bauhauses in Weimar, das die Kunst des 20. Jahrhunderts, vor allem die Architektur und Innenraumgestaltung maßgeblich beeinflusst. Künstler und Architekten wie Walter Gropius, Paul Klee, Kandinsky, Feininger und El-lissitky erwählen in den Jahren von 1910 bis etwa 1925 Weimar vorübergehend zu ihrer Wirkungsstätte. Ihre Pläne, aus Weimar ein großes europäisches Zentrum der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts zu machen, scheitern an Muffigkeit und Unverständnis des großherzogliches Hofes sowie an den kleinlichen Verhältnissen in Weimar.

Nach diesem letzten künstlerischen Aufflackern wird es etwa ab 1925 stiller in Weimar. Dafür machen sich Hitlers Braunhemden immer stärker in der Stadt bemerkbar, erwählen sie zu einem ihrer Hauptzentren. 1932 wird hier die erste faschistischen deutsche Landesregierung auf deutschem Boden errichtet. Wenige Jahre darauf - eine böse Ironie des Schicksals - wird auf dem nordwestlich der Stadt gelegenen Ettersberg das Konzentrationslager Buchenwald errichtet. Schiller hatte hier 1799 in ländliche Stille an seinem „Maria Stuart“ gearbeitet, Goethe, einst 1827 auf diesem Berg zu Eckermann gesagt: „Hier fühlt man sich groß und frei wie die große Natur, die man vor Augen hat, und wie man eigentlich immer sein sollte.“ Nun finden hier über 56 000 Menschen, darunter auch der Führer der deutschen Kommunisten, Ernst Thälmann, in den Jahren bis 1945 den Tod durch die braunen Schergen.

Der zweite Weltkrieg trifft die Stadt schwer. Wenige Wochen vor Kriegsende wird die Altstadt, darunter der Marktplatz, das Goethe- und das Schillerhaus sowie das Deutsche Nationaltheater von Bomben getroffen, 1254 Menschen finden den Tod. Von den erheblichen Kriegszerstörungen ist heute in Weimar nur noch wenig zu sehen, manche Baulücke in dem malerischen Altstadtstraßen harrt freilich noch der seit Jahren geplanten Schließung oder der Rekonstruktion wertvolle Gebäude, so auch die früher so reizvolle Seite des Marktes. Immerhin wurden Goethe- und Schillerhaus, das Nationaltheater so wie der Renaissancebau des Stadthauses restauriert und sind alljährlich Anziehungspunkt für viele Tausende Touristen. Die 1953 gegründeten Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur (im Volksmund NPG) mit ihren über 300 Mitarbeitern widmen sich der Pflege und Erhaltung der vielen Weimarer Museen und Gedenkstätten sowie der Erforschung des großen Erbes. Neben den Wohnhäusern Goethes, Schillers und Liszts sind es besonders die Kunstsammlungen im ehemaligen Residenzschloß, die viele Besucher anlocken. Eine beeindruckende Sammlung, der Gemälde Lucas Cranachs sowie hervorragender Vertreter italienischen und niederländischen Meister sind dort neben der Kunst der Goethezeit, Malerei der deutschen Romantik und Vertreter der Weimarer Malerschule zu sehen.

Im Grünen Schloß, einem Renaissancebau, hat die Zentralbibliothek der deutschen Klassik - die frühere Großherzogliche Bibliothek - ihren Platz. Sie gilt als die größte Spezialbibliothek für die deutsche Literatur von 1750-1850. Allein die Faust-Bibliothek umfaßt über 12 000 Bände. Sehr stimmungsvoll ist der Rokokosaal der Bibliothek im Grünen Schloß mit seinen wertvollen Kunstschätzen aus der Goethezeit, in dem häufig auch Konzerte und literarische Diskussionen - die „Tafelrunde der Gegenwart“ stattfinden.

Ein Mekka der Germanisten aus aller Welt ist das Goethe-Schiller-Archiv, in dem die großen literarischen Nachlässe der Weimarer Dichter aufbewahrt werden. Aber auch Zeitgenossen Goethes und viele andere deutsche Schriftsteller sind hier vertreten. Verwaltet wird u.a. dort auch der Nachlass Friedrich Nietzsches, der seine letzten Lebensjahre, schon unheilbar krank, in Weimar verbrachte.

Die schönen Parkanlagen in und um Weimar machen den Ort auch heute noch zu einer „Stadt im Grünen“: der kleine aber so ungemein stimmungsvoller Park in Tiefurt, wo Anna Amalia ihren Musenhof abhielt, der Weimarer Park mit Goethes Gartenhaus und dem Römischen Haus und die prächtigen Anlagen um das Rokokoschloß Belvedere in Süden der Stadt. Alle sind in den letzten Jahren gründlich erneuert worden, nachdem man im 19. Jahrhundert aus Falsch verstandene Pietät, lange Zeit vieles unberührt ließ und der Auffrischung des Baumbestandes keine Beachtung schenkte.

Weimar ist heute keine Stadt der Dichter mehr, dafür aber eine Stadt der Museen und der Literaturwissenschaft, eine Stadt der Kongresse und Tagungen, der Studenten - es gibt hier Hochschulen für Musik und Architektur - und der vielen touristen. In Weimar hat die noch gesamtdeutsche Goethe-Gesellschaft ihren Sitz, die Mitglieder der Shakespeare-Gesellschaft treffen sich hier alljährlich zu ihren Tagungen, und im Juli sind die Straßen, Gassen und Plätze der Altstadt erfüllt von Musik: Teilnehmer aus vielen Ländern der Erde beteiligen sich am internationalen Musikseminar der Franz-Liszt-Hochschule, die ihren Sitz in einem im ehemaligen fürstlichen Palais hat.

Etwa 30 Kilometer von Weimar entfernt, mit Auto oder Bus also leicht zu erreichen, liegt schloss Großkochberg, der Sommerwohnsitz von Goethes Freundin Charlotte von Stein. Alles, was an den Aufenthalt der beiden Liebenden erinnert, ist liebevoll zusammengestellt worden, und so geben die Räume einen intimen Einblick in das Leben dieser Zeit. Das reizvolle kleine Renaissanceschloß wurde erst kürzlich von dem NPG restauriert, und man hat den stimmungsvollen Park mit seinen Biedermeierrabatten wieder herstellen können.

Überall in der Altstadt und den in der näheren Umgebung Weimars - es ist jetzt mit seinen 60 000 Einwohnern immer noch eine kleine Stadt - begegnet man einer großen Vergangenheit, wird auf Schritt und Tritt eine dahingegangenne Welt lebendig: ob in den alten winkeligen Straßen mit ihren behäbigen Bürgerhäusern, ob in den Wohnräumen des Kirms-Krakow-Hauses und das Wittumspalais, die von der Wohnkultur in Weimar klassischen Zeit sprechen, oder auf den verschiegenen Pfaden des Parkes, durch den die Ilm wie eh und je dahineilt, wo jeder Winkel den Schöpfergeist Goethes zu atmen scheint. Ein Erlebnis ist auch der Besuch des alten Friedhofs auf dem die Großen von Weimars klassischer Zeit begraben liegen.

Und doch ist für jeden Besucher Weimars der Aufenthalt im Goethehaus am Frauenplan das nachhaltigste Erlebnis. Von diesem, mit Zeugnissen seines Lebens und Wirkens so reich ausgestatteten Haus, aus dem noch heute die Universalität seines Geistes spricht, wurde einmal - gewiss etwas überschwänglich - gesagt, es sei ein Heiligtum [...], das in Europa seinesgleichen nur auf der Akropolis oder am Avon hat.

Am schönsten hatten wohl Thomas Mann, der sich zeitlebens Goethes schaffen eng verbunden fühlte, die Persönlichkeit des größten deutschen Dichters zu würdigen gewusst:

Läuterung, Klärung, Ordnung, Formung ist in der Tat der hohe Imperativ, das hohe Geschäft dieses Lebens, das man oft ein Kunstwerk genannt hat [...] Was wir von Vorstellungen von Harmonie glücklicher Ausgewogenheit und Klassizität mit Goethes Namen verbinden, war nichts leichthin Gegebenes, sondern eine gewaltige Leistung.“

(Ansprache im Goethejahr 1949).