Content

Biographical and bibliographical information on the book trades
Home - key to pages | References and abbreviations | Data format | About this website | Freshest advices | Contact

10 August 2025

Die Wartburg, Symbol deutscher Geschichte

Die Wartburg, Symbol deutscher Geschichte

von Hubert Amft, 1982 geschrieben

Am nordwestlichen Rand des Thüringer Waldes erhebt sich bei Eisenach auf einem vom dichten Laubwald bestandenem hohen Berg die Wartburg. Wohl keine andere Burg in Deutschland hat so wie sie - von Sage und Poesie umglänzt - über neun Jahrhunderte hindurch hinweg im Blickpunkt deutscher Geschichte gestanden. Es mag in Deutschland Burgen geben, die über weitaus gewaltigere Ausmaße und imposantere Befestigungsanlagen verfügen, Burgen, die Kaiser und Könige beherbergten und unversehrt oder ohne größere Veränderungen in die Gegenwart überkommen sind, auch Burgen, deren Lager und Anblick allen Ansprüchen an eine sogenannte „romantische‟ Burg eher gerecht werden.. Und doch ist das sagenumwobene „castellum wartberc‟ in Thüringen ohne Zweifel die deutsche Burg im Bewußtsein vieler Deutscher im Ost und West. Denn kaum ein Ort in den beiden deutschen Staaten weist die Eigenheit auf, daß mit ihm über solch einen langen Zeitraum Ereignisse verknüpft sind, die zu Marksteinen deutsche Geschichte wurden. All diese Geschehnisse, und dies ist eine besonderer Eigentümlichkeit der Burg, die je eigentlich Zur Wehranlage bestimmt war, können keinen kriegerischen Ereignissen zugerechnet werden, sondern sind rein geistigen Wesens. Ihre Bedeutung verdankt die Burg somit nur ihre Verbindung mit Namen und Geschehnissen, die in der Geschichte deutschen Geistes einen besonderen Stellenwert einnehmen. Beginnend mit ihrem Ausbau mitten in den erbitterten Kämpfen des Investiturstreits zwischen den deutschen Königtum und dem Papst begleitet die Wartburg den Weg deutscher Geschichte bis hinein in die Zeit der Teilung Deutschlands in zwei Staaten.
Die großen Dichter der staufischen Klassik - Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach und Heinrich von Veldeke - weilten zu Beginn des 13. Jahrhunderts wiederholt in ihren Mauern, priesen die Burg und ihren Herrn, den den Künsten so wohlgesinnten, gastfreundlichen Landgrafen Hermann, sparten aber auch nicht mit kritischen Anmerkungen …
Wenige Jahrzehnte später lebte auf der Burg die ungarische Königstochter Elisabeth, Gattin vom Landgrafen Ludwig dem Frommen, die durch ihre Barmherzigkeit für die Armen zum heiligen Vorbild helfender Liebe wird - zur Heiligen von Thüringen. Franz Liszt hat diese Frau in seiner „Legende von der Heiligen Elisabeth„ gefeiert. Richard Wagner ihr in seinem Oper „Tannhäuser„ ein Denkmal gesetzt.
Drei Jahrhunderte danach 1521/22 übersetze Martin Luther, verborgen als „Junker Jörg‟ auf der Wartburg lebend, auf diesem Seinem „Patmos‟ das Neue Testament ins Deutsche, schuf dadurch die deutsche Schriftsprache im Gegensatz zu den vielen einzelnen deutschen Dialekten und ebnete dem Deutschen den Weg zur einer europäischen Kultursprache.
Lange Zeit in Vergessenheit geraten und mehr und mehr dem Verfall Preisgegeben, erlebte die Burg zu Beginn des 19. Jahrhunderts nochmals eine große Zeit. Rund 500 Burschenschaftler, zumeist Abgesandte der deutschen Universitäten, vereinigten sich 1817 zu einer Zusammenkunft auf der Wartburg, die als „Wartburgfest‟ in die deutsche Geschichte einging. In einer gewaltigen Kundgebung wurden Einheit des deutschen Vaterlandes und eine freiheitliche Verfassung, die auch Freiheit des Geistes garantieren sollte, gefordert.
Dies sind die Episoden Legenden und Ereignisse, die in wohl einmaliger Weise Höhepunkt deutscher Kultur-, Geistes- und Verfassungsgeschichte miteinander verknüpften und die Wartburg zu einem Symbol und Spiegel deutscher Geschichte machen, mehr wohl als jedes andere Bauwerk in Deutschland.
Die Sage nennt das Jahr 1067 als Gründungsjahr der Burg. Ein Graf Ludwig der Salier (auch „der Springer‟ genannt) nahm den strategisch günstig gelegenen Berg für sich in Besitz, auf dem die Wartburg erbaut werden sollte. In den großen Auseinandersetzungen jener Zeit zwischen Kaiser Heinrich IV. und dem Papstum, dem sogenannten Investiturstreit, stand der Graf aus dem mainfrankischen Geschlecht der Ludowinger auf der Seite des Papstes und der päpstlichen Reformpartei. Heinrich IV. (1050-1106), die überragende Herrscherpersönlichkeit dieser Zeit, vertrat die Idee des überpersönlichen Königtums gegen den Partikularismus der mächtig aufstrebenden Fürsten und gegen die neuen Weltherrschaftspläne des Papstes. Doch Heinrich IV. gelang es nicht, einen dauerhaften Erfolg zu erringen. Die deutschen Territorialfürsten machten es sich zunutze, daß die obersten Gewalten des Abendlandes mit ihren erbittert geführten Streit beschäftigt waren, und setzen den Ausbau ihrer Macht ungestört fort. Für viele Jahrhunderte kam es aufgrund dieser folgenschweren Entwicklung zu keiner starken Zentralmacht in Deutschland - Segen wie auch Fluch für den ferneren Verlauf der deutschen Geschichte, die in Zeichen weiterer territorialer Aufsplitterung aber auch großer kultureller Vielfalt und unendlich viele Autonomien stehen sollte.
Nach Ludwig des Springers Tod im Jahre 1123 kam durch die von ihm ausgehandelte Heirat seines Sohnes Ludwig Hessisches Land zum thüringischen Erbland dazu, so daß das ludowingische Gebiet sich von Nordostthüringen bis hinunter nach Marburg erstreckte. Dem Machtzuwachs entsprach auch der neue Rang in weltlich, in welchen Kaiser Lothar 1130 Ludwig (Ludwig I.) erhob. Er wird der erste thüringische Landgraf. Im deutschen Reich zählte er nun zu den 16 weltlichen Großen, die allein als weltliche Reichsfürsten galten. Nachdem unter Landgraf Ludwig III. auch noch sächsische Gebiete zu Thüringen geschlagen worden waren, bildete die Wartburg geographisch den Mittelpunkt eines umfangreiches Landbesitzes, und ihre Bedeutung als glanzvolle Residenz der Ludowinger war begründet.
Die Urenkel Ludwig des Springers, Ludwig III. (1172-1190) und dessen Bruder Hermann I. (1190-1217) standen dem Kaiser noch näher. Sie waren Neffen Friedrichs I., waren beide weitgereiste Herren, die in Paris studiert und die französische Kultur kennengelernt hatten, und sie hatten auch die Entwicklung der Baukunst in Frankreich und in Rheinland interessiert verfolgt. Ihr Wunsch nach Repräsentation tritt in der Warburg monumental hervor in dem Pallas, der am Ende des 12. Jahrhunderts begonnen und um zu dem Landgrafen Hermann I. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts als baukünstlerisch bedeutende Teil der Wartburg erbaut wurde. Heute gilt dieses auch „Landgrafenhaus‟ genannte Bauwerk als eines der schönsten, wenn nicht als das schönste erhaltene profane Gebäude Deutschlands aus romanische Zeit.
Neben dem staufischen Hof und dem Hofe der Babenberger in Wien wird nun die Hofhaltung der Thüringer Landgrafen zu einem Zentrum der höfisch- ritterlichen Kultur Deutschlands. Diese Kultur in starkem Maße durch französische Einflüsse befürchtet war gesamtabendländisch in ihren Grundlagen, ihren großen Themen und Stoffen, wie zum Beispiel der Artussage, wies aber auch bereits nationale Differenzierungen in den Volkssprachen, die sie benutzte, auf. Die Landgrafen begannen nun in immer größerem Maße Steinmetzen, Buchmaler, Dichter und Sänger an ihren Hof zu rufen. Besondere Pflege genoß die höfiisch- ritterliche Epik, Lyrik und Spruchdichtung.
Nach dem frühen Tode Kaiser Heinrich VI. 1197 (sein Sohn Friedrich II., damals dreijährig, erringt erst 1212 nach harten Auseinandersetzungen die Macht) erreichte die deutsche Dichtung - trotz der kriegerischen Verheerungen im Lande - ihren ersten Höhepunkt: die staufische Klassik mit Heinrich von Veldecke, Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide. Später entstandene Sagen machten die Wartburg zu einer Stätte, an der die bedeutendsten Sänger und Dichter des Reiche sich zu einem Wettsingen einfanden.
Die Sage erzählt: Zur des Landgrafen Hermann trafen sich am 7. Juli 1206 auf der Wartburg die ritterlichen Sänger zum Wettstreit:

her Heinrich von Ofterdingen

her Walther von der Vogelweid

her Wolfram von Eschilbach

her Reinmar von Zweter

Heinrich der tugendhafter Schreiber

Biterolf.

Der Ofterdingen stellt den Herzog von Österreich als die Sonne hin, die anderen den Landgrafen von Thüringen. Ofterdingen unterliegt im Wettsingen und bittet die Landgräfin um Schutz vor dem Henker. Er verspricht übers Jahr Den Sänger Klingsor aus Ungarland herbeizuholen und diesen für sich streiten zu lassen. Doch Klingsor, ein Zauberer, wird von Wolfram besiegt.
In dieser legendären Überlieferung erscheint die Wartburg zum ersten Mal als der deutsche Mittelpunkt einer hohen internationalen Kultur und der Landgraf Hermann als ihr Mäzen - so wie es ebenfalls in Thüringen 600 Jahre später der Herzog Carl August in Weimar wurde, als Goethe, Schiller, Herder und Wieland an seinem Hof lebten und wirkten.
Wenn die Legende vom Sängerkrieg auf der Wartburg die Richard Wagner zu seiner Oper „Tannhäuser‟ inspirierte, auch einer kritischen Überprüfung der Historiker nicht standhält, so ist es doch unzweifelhaft, daß der landgräflicher Hof eine große Anziehungskraft auf die berühmtesten unter der fahrenden Sängern ausgeübt hat. Walther von der Vogelweide, der große Dichter des Minnesangs, und Wolfram von Eschenbach, der Vollender des ritterlichen Epos in der deutschen Literatur waren - das ist durch ihre Werke belegt - wiederholt Gäste der Wartburg. Bei Wolfgang von Eschenbach nimmt man an, daß Teile seines „Parzival“ hier entstanden sind.
Walther von der Vogelweide sang von der Warburg und ihrem Landgrafen:
der Dürnge bluome schinet dur den sne
sumer und wnter blüet sin lop als in den ersten jaren
Thüringens Blume scheinet durch den Schnee,
Sommer und Winter blühet ihr Lob allezeit
Aber für dauernd vermochten sich beide Dichte dem Hofe des Landgrafen nicht zu verbinden - Charakter und Hofhaltung Hermanns ernteten neben hohem Lob auch Tadel wegen des oft gar zu bunten, chaotischen Treibens auf der Wartburg:

So äußert Walther von der Vogelweide später:

Wer in den Ohren krank an Süchten ist,

das ist mein Rat, der bleibe dem Hof zu Thüringen fern.

Denn kommt er dahin, wahrhaftig, er gerät von Sinnen.

Ich habe mich in der Trubel gestürzt

bis ich es nun nicht mehr kann

[…]

Der Landgraf ist so gesonnen,

daß er mit hochmütigen Helden seiner habe vertut,

von denen ein jeder gut und gern sein Kämpfer sein könnte.

Mir ist seine offene Hand wohl bekannt.

Und kostete ein Fuder guten Weines tausend pfund

Auch dann stünde Ritters Becher niemals leer.

In der Sage vom Sängerkrieg auf der Wartburg verdichtete sich dann im 14. Und 15. Jahrhundert die geschichtliche Tatsache von der bedeutenden Funktion, die der Hof des Landgrafen in dieser Phase der ersten deutschen Literaturblüte ausübte. Erstmalig in seiner Geschichte ist das thüringische Zentralland, ist „Thüringens Blume“ zu einem geistigen Mittelpunkt Deutschlands geworden.
Ebenso wie in den deutschen Kleinstaaten des 17.-19. Jahrhunderts ließ also auch bereits damals der Glanz großer Geister Enge und Kleinheit der verworrenen politischen Verhältnisse vergessen. Man lebte, davon zeugt Walther von der Vogelweides Kritik, auf den Fürstenhöfen in Gründe über seine Verhältnisse hinaus, man lebte auf Kosten des kleinen Mannes, ja der gesamten Bevölkerung. Doch selten ist dies im Bewußtsein der herrschenden Klasse als Mahnung, als Appell an das Gewissen deutlich geworden. Wie ein Lichtstrahl in der Finsternis des Mittelalters mutet heute eine Gestalt an in der das soziale Gewissen Ihre Zeit Wach wurde: Elisabeth von Thüringen
Im Jahre 1211 kommt sie als Kind von vier Jahren und Brauch des elfjährigen Sohnes des Landgrafen nach Thüringen. Sie ist die Tochter des ungarischen Königs Andreas und der Gertrud von Andechs-Meran. Eine Schwester Königin Gertrude war zu dieser Zeit Königin von Frankreich, eine weitere Herzogin von Schlesien, die spätere Heilige Hedwig. Welche Möglichkeiten diplomatischen Spiels boten sich da für das aufstrebende Geschlecht der Ludowinger ...
Doch schon von ihren Jüngsten Jahren an würde Elisabeth Handeln Vom Protest gegen Prunk und Hoffart des höfischen Lebens bestimmt, bemühte sie sich, gegen alle Widerstände Zeugnis für die sittliche Pflicht der großen dieser Welt, sich tätig der Armen anzunehmen, abzulegen. Walter Nigg, der bedeutende, nicht-katholische Schriftsteller, der über das Leben der Heiligen schrieb, äußerte über Sankt Elisabeth: „In Elisabeth war das christliche Gewissen erwacht - das in so vielen Christen eingeschlafen ist, - und in ihrer Enthaltung von den unrechtmäßigen erworbenen Speisen fing es wieder laut zu reden an. Elisabeth verkörpert den christlichen Protest des Gewissens [...] Mit dem Vorsatz, sich alle von ungerechten Einkünften stammenden Speise zu enthalten, ist Elisabeth auf die Seite des geplagten Volkes getreten. […] Elisabeth ist den persönlichen Weg konsequent und radikal gegangen, alles Gewohnte hatten sie weit hinter sich gelassen. […] Elisabeth setze sich mit einer Kühnheit ohnegleichen über die Vorurteile der feudale Standesunterschiede hinweg und zerriß sie mit einer christlichen Gebärde, als wären Sie ein Spinnewebe. […] Ganz bewußt trat Elizabeth den gesellschaftlichen Dünkel mit Füßen, warf ihn hinter sich und wollte frei von ihm sein. Sie überschritt hierin auch alle Gepflogenheiten, zerbrach die starre Konventionen ... und sagte sogar zu der Dienerin: „Siehe, du mußt auf meinem Schoß sitzen“. Eine stärkere Umkehrung der höfischen Gesellschaftsordnung ist nicht denkbar.“
Unzweifelhaft ist das religiöse Ideal Elisabeths in starkem Maße von der großen Zeitbewegung, die die Nachfolge Christi im Dienst am Menschen suchte und an deren Spitze Franz von Assisi stand, beeinflußt worden. Aber in der Art, wie sich Elisabeth mit der Armut verbrüderte, die Pestkranken zum Entsetzen der Höflinge in einem am Fuße der Wartburg gelegenen Spital versorgte, sich strenge geistlich Übungen auferlegte, ist sie doch eine gut selbständige, unwechselbare Erscheinung. Während der Landgrafenhof ihrem Tun Einhalt zu gebieten versucht, hielt ihr Gemahl Ludwig IV. all die Jahre zu ihr. 1221 waren beide miteinander vermählt worden. Doch bereits im Jahre 1226 stirbt Ludwig, als einer der Oberbefehlhaber des von Kaiser Friedrich II. ausgerüsteten Kreuzfahrerheeres in Italien weilend, in Otranto am Pestfieber.
Nach seinem Tode wird Elisabeth von ihrem Schwager, dem harten und machtbewußen Heinrich Raspe, mit ihren Kindern von der Wartburg gewiesen. Erst 1228 darf sie zurückkehren, erhält ihr Wittum und unterwirft sich nun völlig ihrem fanatischen Beichtvater Konrad von Marburg, indem sie auf ihre Kinder und auf ihren freien Willen Verzicht leistet. Sie wird Tertiarin, gründet in Marburg ein Spital und tut Gutes unter Konrads überstrenge Anleitung. Am 17. November 1231 verstirbt sie, erst 24jährig, an den großen körperlichen Strapazen und Entbehrungen mitten im Werk der Fürsorge für Arme und Kranke.
Über ihr Leben auf der Wartburg gibt es unzählige Sagen und Legenden: So soll sie einst im prunkenden Zuge des mächtigen Landgrafenhofes zur Kapelle der Wartburg geschritten sein, um gemeinsam mit dem Hofstaat Gottesdienst zu halten. Sie gingen zum Altar und legte all ihr Geschmiede und ihren Stirnreif nieder, denn es gezieme sich nicht, vor dem Gekreuzigten gekrönt zu erscheinen.
Durch ihre Beispiel wirkte Elisabeth weit über ihre Zeit hinaus. Mit ihr hat die Geschichte der Wartburg auch Anteil an den Bemühungen der Menschheit um tätige soziale Hilfe.
Die vielen Wunder, die an ihrem Grabe geschehen sein sollen, veranlassen 1235 ihre Heiligsprechung. Ihr Schwager Konrad gründet in Marburg die Sankt Elisabethkirche, den ersten deutschen reingotischen Sakralbau, der im Jahre 1283 vollendet wird.
Anderthalb Jahrzehnte nach Elisabeths Tod stirbt mit Heinrich Raspe, der nach dem frühen Tod von Elisabeths Sohn Landgraf geworden war, das ludowingische Haus aus. Zuvor war Heinrich Raspe von den Reichsständen zum Gegenkönig des jungen Königs Konrad (Sohn Friedrichs II.) ausgerufen worden. Der auch spottweise „Pfaffenkönig“ genannte Raspe brachte seinen Widersacher zwar noch eine Niederlage bei, erkrankte aber bei der Belagerung von Ulm und verstarb kinderlos am 12. Februar 1247 auf der Wartburg.
Um sein Erbe erhebt sich der nun beginnende langjährige und blutige, thüringische Erbfolgestreit. Nach erbitten Kämpfen kommt Thüringen unter die Herrschaft der sächsichen Wettiner, während der westliche Teil der Landgrafschaft, das spätere Kur-Hssen, abgetrennt wird und an Elisabeths Tochter Sophie, Gemahlin des Herzogs Heinrich von Brabant fällt. Dadurch verliert die Wartburg, einst Mittelpunkt eines großen Herrschaftsbereiches, ihre zentrale Lager und rückt in der Folgezeit ganz an den Rand der wettinischen Staatenbildung. Die ehemals so glanzvolle Residenz wird nach und nach zu einer nicht mehr sehr bedeutungsvollen bloßen Festung, die nahezu in Vergessenheit gerät und an der auch bald Spuren des Verfalls sichtbar werden.
Doch im 16. Jahrhundert fällt der Burg eine weltgeschichtliche Rolle zu. Der Dornröschenschlaf der Burg wird unterbrochen durch einen Mann, den sie vom 4. Mai 1521 bis zum 2. März 1522 Asyl in ihren Mauern gewährt: Martin Luther.
Auf der Rückreise vom Wormser Reichstag 1521, auf dem er sich geweigert hatte, seine Lehre zu widerrufen, wird von den Räten des Kurfürsten Friedrich von Sachsen in der Nähe der Wartburg ein Überfall inszeniert, Luther wird auf offener Straße ergriffen und heimlich auf die Wartburg Gebracht. In ganz Deutschland rätselt man über den Verbleib Des Wittenberger Mönches, auch Kurfürst Friedrich der Weise gibt in der Öffentlichkeit zu wissen, daß er keinerlei Informationen über das Schicksal seines Untertanen habe. Die Stimmung der führenden Köpfe des deutschen Renaissance-Bürgertums drückt Albrecht Dürers Jurist Tagebuch-Eintragung wohl am deutlichsten aus:
Am Freitag vor Pfingsten im Jahre 1521 kam mir die Mär gen Antwerpen daß man Martin Luther so verräterisch genommen hätte […] Und lebte er noch, oder haben Sie ihn gemordet? - was ich nicht weiß - dann hat er das gelitten um der christlichen Wahrheit willen […] und auch darum, daß wir dessen, was unseres Blutes und Schweißes ist, also beraubt und ausgesogen werden und dasselbe von müßiggehenden in Volker lästerlich verzehret werde [...]
Die Jahre von 1517 bis 1521 waren die entscheidenden Jahre für Martin Luther und seine Bewegung gewesen. Immer mehr trieb auf eine Spaltung der Kirche zu, was einst als Kampf gegen Mißbräuche und Misswirtschaft der katholischen Kirche begonnen hatte. In der päpstlichen Bulle Exsurge Domini waren in Juni 1520 aus Luthers Schriften 41 Sätze als häretisch erklärt worden; man richtete an ihn die Aufforderung, seinen Irrtümern abzuschwören und gab ihm dazu eine Frist von 60 Tagen. Aber Luther verbrannte kurzerhand die päpstliche Bulle zusammen mit anderen Schriften. Nach altem Recht hätte nun dem päpstlichen Bann die Reichsacht folgen müssen, doch dies wurde von dem 1521 von Kaiser Karl V. zusammengerufen Landesständen abgelehnt. Diese forderten, Luther zuvor einem Verhör zu unterziehen, um eben die Möglichkeit eine Rechtfertigung oder eines Widerrufs zu geben. Es kam zu Luthers Ladung vor den Reichstag, zu seinem berühmten Auftreten in Worms, wo er sich Zu keinerlei Zugeständnissen bereitfand und sich mit folgenden Worten zu seine Lehre bekannte:
Da Eure Majestät und Eure Herrlichkeiten eine schlichte Antwort von mir erheischen, so will ich eine solche ohne alle Hörner und Zähne geben. Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Schrift und klare Vernunftgründe überzeugt werde […], so bin ich durch die Stellen der Heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Wort Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen Etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir. Amen.
Diese Sätze wirkten in Deutschland wie ein Fanal Auf die Anhänger der neuen Bewegung. Über alle konfessionellen Spaltung der kommenden Jahrhunderte hinweg sind sie als Zeugnis eines bis zum letzten zu seiner Sache stehenden Mannes ein Zeugnis von großen Mut und hoher Menschlichkeit.
Luther wurde nun in Worms in Acht und Bann getan, zwar nur von einem Teil der auf den Reichstag verbeleibenden Reichsstände, aber das Urteil war dennoch rechtswirksam und Luther somit vogelfrei, nachdem das ihm gewährte Geleit abgelaufen sein würde.
Auf der Wartburg war Luther vorerst in Sicherheit, aber das verborgene Leben als „Junker Jörg“ bedeutete für ihn auch die Trennung von seiner Bewegung, Verzicht auf ihre Lenkung und Leitung. Wiederholt hat Luther von seinem „Patmos“ gesprochen und sich damit mit Johannes verglichen, der in der Verbannung seine Offenbarung vollendete. Luther meditiert auf der Wartburg über die Nichtigkeit seiner Widersacher, als er aus dem dichten Wald rings um die Burg den Rauch der Kohlenmeiler Aufsteigen sieht: „Der Rauch gehet über sich, macht sich eigenwillig in der Luft, tut, als wolle er die Sonne verblenden und den Himmel stürmen. Was ist’s aber? Kommt ein kleines Windlein so verwebt sich und verschwindet Der breitprächtige Rauch, daß niemand weiß, wo er geblieben. Also alle Feinde der Wahrheit haben’s groß im Sinn, tun greulich, zuletzt sind sie wieder Rauch wider den Himmel, der auch in ihm selbst ohne Wind verschwindet.“
Aber Luther findet nicht nur Zeit zur Meditation, er wird auch von heftigen Anfechtungen geplagt, ob er den richtigen Weg gegangen sei, ob er Bruch mit den kirchlichen Autoritäten und der tiefe Graben, der dadurch zwischen den zerstrittenen Lagern aufgerissen worden war, richtig gewesen seien. „Wie, wenn du irrest“ fragt er, „und soviel Leute in Irrtum verführst, welche alle ewiglich verdammt würden?“
Auf der Wartburg erreichen ihn zudem beunruhigende Nachrichten über Zunahme religiöser Wirren, vor allem aber, daß radikale und schwärmerische Ausarten die religiöse Bewegung zu spalten und zersetzen drohten. Von steigender Unruhe erfasst, verläßt er gegen den ausdrücklichen Willen des Kurfürsten Friedrich seine Zufluchtsstätte und trifft im März 1522 in Wittenberg ein, um persönlich in den Streit eingreifen zu können.
Waren die Auswirkungen von Luthers Verborgenheit auf der Wartburg für seine Bewegung sicherlich von Nachteil, so hat Aufenthalt in anderer Hinsicht ein historisch bedeutsames Ergebnis erbracht: er übersetzt hier in jenem kleinen Raum der Burg, der später als Lutherstube Weltberühmtheit erlangte, das Neue Testament ins deutsche. Hatten 300 Jahre zuvor die berühmtesten deutschen Dichter des Hochmittelalters auf der Wartburg eine Heimstatt gefunden, so wird die Burg nun zur Stätte, einer der größten sprachschöpferischen Leistungen der deutschen Geistesgeschichte: mit seiner Übersetzung legt Luther das Fundament der neuhochdeutschen Sprache, die künftig alle deutsche Gebiete, die protestantischen und die katholischen, miteinander verbinden sollte. Luthers Aufenthalt auf der Wartberg wird so zur Brücke zwischen Ost und West, Nord und Süd.
In den nun folgenden zwei Jahrhunderten wird die Burg von den geschichtlichen Ereignissen, die für die politische Entwicklung Deutschlands bestimmt werden, nicht berührt. Von den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges wie auch von den Auseinandersetzungen zwischen Preußen und Öserreich um die Vorherrschaft in Deutschland bleibt sie verschont, doch nimmt der Verfall ihrer Gebäude in starkem Maße an, da sie nur noch ganz selten aus Aufenthaltsort ihrer wechselnden fürstlichen Eigentümer dient. Im 18. Jahrhundert dann ist die Burg vor allem, das einst so prächtige Landgrafenhaus, nur noch „ein nüchterner, öde Kasten mit einem ungeheuren Dach und kleinen Fenstern in dessen Innern eine unbeschreibliche Unbehaglichkeit herrscht“ (Goethe). Für ihr weiteres Schicksal ist es jedoch von Bedeutung, daß sie im Jahre 1741 in den Besitz der Herzöge von Sachsen-Weimar-Eisenach kommt. Wiederholt weilt dann Goethe in den Jahren nach 1775 auf der Burg, um hier Ablenkung von den für ihn so ermüdenden Staatsgeschäften zu finden. Er zeichnet häufig die Burg und spricht sich begeistert über die ihn dort umgebende Natur aus. So Schreibt er an Charlotte von Stein: „[…] wenn’s möglich ist zu zeichnen wähle ich mir ein beschränkt Eckchen, denn die Natur ist zu weit herrlich hier auf jeden Blick hinaus [...]“. An einem „herrlichen Duftmorgen um die Wartburg“ entsteht hier am Abend 26. Juli 1814 das Gedicht „Im Gegenwärtigen Vergangenes“.
Goethe als Zeichner und Dichter der Wartburg - aber er ist zugleich auch einer der ersten, Sammler für ein künftiges Wartburgmuseum. So veranlasst er, daß einige alter Altäre auf die Wartburg überführt werden, gibt Anregungen für die Aufstellungen der Kunstschätze in den einzelnen Räumen und nimmt damit in vieler Hinsicht gedanklich die dann ab Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzende Wiederherstellung der Burg und ihren Ausbau als Nationaldenkmal vorweg: „[…] Gewiß wird die Aufstellung auch dieser alten Maler Meile Denkmäler die Wartburg für Besucher oder Einheimische und Fremde noch interessanter machen und vielleicht eine Anregung geben zu zweckmäßiger Verzierung des Locals, worin dieser Altertümer aufbewahrt werden, etwas zu tun.“
Doch zunächst macht ein Ereignis die Wartburg in ganz Deutschland so populär wie wohl nie zuvor in ihrer langen Geschichte. Am 18. Oktober 1817, dem 300. Jubiläum des Reformationstages und 4. Jahrestages der Völkerschlacht bei Leipzig, versammeln sich 500 vaterländisch gesinnte Studenten und Professoren als Abgesandten vieler deutscher Universitäten auf die Burg.. Die großen Hoffnungen der deutschen Patrioten, nach dem Ende des antinapoleonischen Befreiungskrieges in einem vereinigten Vaterland leben zu dürfen, eine freiheitliche Verfassung eingeführt zu sehen, hatten sich zerschlagen. Die politische Neuordnung im Deutschen Bund, dem „völkerrechtlichen Verein“ souveräner Einzelstaaten, hatte daher in der bürgerlichen Jugend, die in den Befreiungskriegen ihr Leben eingesetzt hatte, tiefe Enttäuschung hervorgerufen. Doch es kam vorerst in Deutschland zu keiner einheitlichen Bewegung, die ein Gegengewicht zu den reaktionär-resaurativen Kräften hätte darstellen können. Ein erster Versuch wird der Gedanke von einer allgemeinen deutschen „Burschenschaft“ die an die Stelle der den Partikularismus begüunstigenden mannschaftlichen Zusammenschlüsse an den Hochschulen treten sollte..
Beim Wartburgfest 1817 kommt es zum ersten öffentlichen Auftreten dieser neuen Bewegung, zum ersten Mal wird ihr nationales und liberales Programm einer breiten Öffentlichkeit bekanntgemacht. In altdeutscher schwarzer Tracht und mit schwarz-rot-goldnen Fahnen zogen 500 Burschen von Eisenach zur Wartburg hinauf. Im Rittersaal der Burg findet dann eine Feier statt, die in ihrer eigentümlichen Mischung von Gottesdienst und Segen und politische Kundgebung die für die Zeit charakteristische Verbindung christliche und germanische Ideen erkennen läßt - Friedrich Engels spricht ironisch vom „nebelhaften Drang wartburgfestlicher Burschenschaftler, wo Mut und Kraft in deutschen Seelen flammten, und wo es nach einer französischen Melodie den Jüngling fortriß mit Sturmeswehn fürs Vaterland in Kampf und Tod zu gehen, um die romantische Kaiserherrlichkeit wiederherzustellen“.
Insgesamt hielten sich die Feier in den vorgegeben Grenzen einer Demonstration, die in erster Linie Gefühle zum Ausdruck brachte und noch kein fertiges Programm vorlegte. Einige der in diesen Tagen formulierten Grundgedanken - die Forderung nach der Einheit Deutschlands, nach einer freiheitlichen Verfassung, nach der Freiheit der Presse - sollten jedoch in der Folgezeit die ganze Geschichte der nationalen deutschen Staatsgründung im 19. Jahrhundert begleiten.
Ein Ereignis am Rand, die Verbrennung der Bücher von Autoren, die als Vaterlandsverräter galten, darunter auch die „Deutsche Geschichte“ Kotzebues, der anderthalb Jahre später von dem Burschenschaftler Karl Sand, Teilnehmer der Wartburgfeier, ermordet wurde, führte zu wütenden Maßnahmen der deutschen und europäischen Reaktion. Es kam zu einer Entwicklung, die in den Maulkorbgesetzen der Karlsbader Beschlüsse von 1819 gipfelte, mit der die öffentliche Meinung, die Pressefreiheit und die Freiheit der Universitäten unterdrückt würden.
Trotz aller schwärmerischen Vorstellungen, einem Mangel am politischen Augenmaß und Begeisterung an Worten, die für ein zielgerichtetes politisches Handeln allein nicht ausreichten, wurde das Wartburgfest zu einem Markstein in der deutschen Geschichte. Historische Rückbesinnung und Willen zu Zukunft, Tradition und Fortschrittsdenken fallen hier in einer Weise zusammen, wie sie in der deutschen Geschichte Seltenheit haben. Es bleibt ein großes Verdienst von Großherzog Karl August von Sachsen-Weimar, daß er die studentische Jugend in seinen Schutz stellte, während sie von überall her Angriffen ausgesetzt war.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts kommt es dann zu der schon von Goethe angeregten Wiederherstellung Der Burg und ihren Ausbau als nationales Denkmal. Leider führte diese Restaurierung - man muss den damaligen Stand der Denkmalpflege berücksichtigen, der mehr in guten Willen und romantisierenden Vorstellungen als in wirklichen Kenntnissen bestand - zu keiner Wiederherstellung der Burg in eigentlichem Sinn, sondern zur Errichtung eines romantischen Denkmals innerhalb der verbliebenen alten Bausubstanz. Der Bergfried entsteht auf dem alten Fundament,und es werden eine Reihe von Neubauten in einem Stil errichtet, der nach den Vorstellungen der Restauratoren Romanik und Gotik weitgehend entsprechen soll, die Gebäudeteile aber doch weitgehend als Zutat des 19. Jahrhunderts erkennen lässt. Immerhin gelingt es, den Pallas wieder weitgehend in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen, so daß die Arkadengänge der Westfront, die sich durch alle Geschosse der Westfront entlangziehen, sich dem Betrachter wieder in ihrer festlichen Schönheit bieten.
Richard Wagner hielt sich auf der Burg auf, empfängt tiefe Eindrücke, die ihn zu seiner 1845 in Dresden uraufgeführten Oper „Tannhäuser oder der Sängerkrieg auf der Wartburg“ anregen. Franz Liszt Setzt seiner ungarischen Landmännin, der Heiligen Elisabeth in seinem Oratorium „Legende von der Heiligen Elisabeth“ ein musikalisches Denkmal, das 1865 in Budapest und 1867 auf der Wartburg zur Aufführung gelangt.
Moritz von Schwind, ein Vertreter der süddeutschen Schule der deutschen Romantik, gestaltet 1854 einige Räume des Pallas - darunter das Landgrafenzimmer, den Sängersaal und die Elisabethgalerie - mit Fresken und dekorativen Malereien aus. Sie zeigen Szenen aus der Landgrafengeschichte, dem Sängerkrieg und aus dem Leben der Heiligen Elisabeth.
Jahrzehntelang wird im 19. Jahrhundert in der Wartburg noch weitergebaut,. Je geringer die schöpferischen Kräfte werden, um so stärker mischten sich romantisierende, sentimentale, ja, gründerzeitliche Züge ins Werk, die zum Teil bei der ab 1945 mit großer wissenschaftlicher Sachkenntnis durchgeführten Restaurierung der Burg wieder beseitigt wurden oder zumindest eine Milderung erfuhren. Auch ein großer Teil der sehr wertvollen Kunstwerke der Wartburg-Sammlungen - darunter alte Möbel, Teppiche, Gemälde und häusliche Gebrauchsgegenstände aus vielen Jahrhunderten wurde sachkundig restauriert.
Heute ist die Wartburg ein großer Anziehungspunkt für viele Tausende Besucher aus der DDR, auf deren Gebiet sie ja liegt, sowie für Touristen aus der Bundesrepublik und vielen ausländischen Staaten. Der im Jahre 1983 bevorstehende 500. Geburtstag Martin Luthers wird sicherlich viele Menschen aus aller Welt Anlaß sein, die Wartburg, eine seiner Hauptwirkungsstätten, aufsuchen.