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10 November 2006

Bertuch und England

Bertuch und England: Vorbild oder Nachklang?
Note: This paper is a revised version of the one given at the colloquium: Friedrich Justin Bertuch (1747-1822): Verleger, Schriftsteller und Unternehmer im klassischen Weimar, which was held in Weimar by the Friedrich-Schiller-Universität, Jena, the Stiftung Weimarer Klassik and the Stadtmuseum Weimar from 28 September to 1 October 1997. The papers were published in 2000 by Max Niemeyer Verlag under the same title. I am grateful to the editorial staff for correcting my German for publication. The present text departs from that in the published volume where more background is required for those unfamiliar with Weimar.
Ian Maxted, October 2006
"Es ist nicht zu leugnen, daß Deutschland bisher von Frankreich an einer wahren Sklavenkette geführt wurde. [...] Jedoch Frankreich ist es nicht allein, dessen Zauberstab wir zu fürchten haben. England und der vervollkommnete Kunstfleiß seiner Fabriken wird und muß uns ebenso gefährlich werden. Die geschmackvolle Simplizität und Solidität, welche England allein seinen Fabrikwaren zu geben gewußt hat, ist für uns Deutsche so außerordentlich empfehlend und anlockend, daß das Wort Englisch, englische Waren, schon dermalen einen unwiderstehlichen Zauberreiz für uns hat."

So äußert sich Bertuch im Journal des Luxus und der Moden im Jahre 1793 in einem Artikel unter dem Titel "Über die Wichtigkeit der Landes-Industrie-Institute für Deutschland" einer Schrift, die er später als Sonderdruck herausbrachte[1]. Bertuch hat in vieler Hinsicht England als Vorbild angesehen. Besonders in den ersten Jahrgängen dieses Journals findet man immer wieder positive Erwähnungen dieses Landes, in dem die industrielle Revolution sich tiefgreifender und umfassender entwickelt hatte als in jedem anderen europäischen Staat.

Der Beitrag wird versuchen, Vorbilder für Bertuch in England zu entdecken. Er will keine tiefgehende Forschung zu diesem vielfaltigen Mann sein, eher soll er ein Anreiz sein, Bertuchs Leistungen in einem europäischen Rahmen zu bewerten.

Nehmen wir das Jahr 1787 als Beispiel, Bertuchs Interesse an England zu untersuchen. Schon im Januar erscheinen im Journal zwei Kupferstiche, der eine stellt eine "Englische Dame im Full-Dress [...] nach einem ächten englischen Original", der andere eine "Englische Negligée" dar. Im Februar erfahren wir in einem Artikel "Uber Kinder=Kleidung"[2] Genaueres zur Bedeutung englischer Mode:

Wer weiß nicht, daß wir die Fortschritte, die ohngefähr seit 25 Jahren zu Verbesserung der physischen Kindererziehung in Teutschland geschehen, vornehmlich den Engländern schuldig sind [...] Englands Lehrer war in diesem Stücke der große Locke [...] Locke betrachtet die Kleidung der Kinder als eins der wichtigsten Stücke auf denen die Erhaltung ihrer Gesundheit ruht.
Die März-Ausgabe bringt einen Artikel über die Ungestaltheit "aus dem Englischen des William Hay Esq"[3], einen Bericht über englische Moden: der Pantheon cap und der Treaty hat, und einen Kupferstich von drei englischen Stühlen, die der begleitender Text als "einfach" beschreibt, eine Bezeichnung, die immer wieder für englischer Waren verwendet wird. Das Intelligenzblatt desselben Monats enthält eine Ankündigung einer Übersetzung von "Captain Cooks dritte[r] und letzte[r] Entdeckungsreise um die Welt in den Jahren 1776 bis 1780" übersetzt von Forster dem jüngeren[4]. Im April wird ein "Vergleich zwischen dem Luxus der Franzosen und Engländer", ein Fragment der neuen sehr vermehrten Ausgabe des Werkes England und Italien[5], veröffentlicht. Es ist bedeutsam in diesem Artikel zu lesen: "Die Franzosen halten viel auf reiche und prächtige Kleider. Die Engländer [...] ziehen eine simple, zu ihren Bedürfnissen passende Tracht vor [...] Leute vom niedrigsten Stande in England tragen Wäsche, wie in Teutschland Personen von Range."

Und später lernen wir mehr von den geringeren sozialen Abständen, die in England zu gelten schienen:

Ein Luxus aber, der in London allein herrscht, sind die prächtigen Tavernen, und die darin üblichen Gastmähler von fünfhundert, von tausend, und mehr Personen. Da in Frankreich die Stände durch so grosse Unterschiede von einander getrennt sind, so wären dort so gemischte, und so zahlreiche Versammlungen nicht denkbar.
Diese Bemerkung wird Juli in einem Artikel mit dem Titel "Luxus der Londoner Tavernen" wiederholt[6].

Bertuchs Leserschaft war auf diese Anglomanie schon vorbereitet[7]. Seit der Veröffentlichung von Beat Ludwig von Muralts Lettres sur les Anglois et les François im Jahre 1725 hatte eine Reihe deutscher Reisender die intellektuelle und kulturelle Schwerpunkte Europas eher in England als in Frankreich gefunden. Die hannoversche Verbindung und die Gründung der Universität in Göttingen 1734 führten zur stärkeren Verbreitung englischer Ideen in Deutschland, und viele dieser Ideen waren dem Geist der Aufklärung sehr zugeneigt. Die verhältnismäßig liberalen Verfassung Englands, die Gedanken- und Pressenfreiheit, die Ideen der Philosophen wie Locke und Hume wecken durch die Werke von Bielfeld, Sturz, Lichtenberg, Fabricius und anderen Reisenden ein großes Interesse in Deutschland[8]. In den achtziger Jahren trat unter dem Einfluß englischer Schriftsteller wie Richardson, Stern und auch von Macphersons Ossian-Gedichte an die Stelle dieses rationellen Interesses die unkritische subjektive Schwärmerei des sentimentalen Reisenden. Zu dieser Zeit erschienen auch zahlreiche Reiseberichte, so die von Carl Philip Moritz und Sophie von La Roche[9].

Diese sentimentalen Reisender nutzten als systematischer Wegweiser die Schriften von Johann Wilhelm von Archenholz[10]. Sein Werk England und Italien erschien zum ersten Mal 1785 und Bertuch druckte, wie schon erwähnt, ein Fragment aus seiner zweiten und verbesserten Ausgabe im Journal vom April 1787[5]. Im Intelligenzblatt vom Juni desselben Jahres wird der British mercury angezeigt, der von Archenholz zwischen 1787 und 1791 wöchentlich in englischer Sprache in Hamburg herausgebracht wurde[11].

Es ist schwierig, die Quellen Bertuchs Berichten durch Vergleich mit den englischen Zeitschriften zu bestimmen. Eine Zeitschrift wie das Lady's magazine von 1787 enthält keinen einzigen der Artikel und Modestiche. Bertuch muß einen Korrespondenten in London sowie in Paris gehabt haben. In der Nummer vom September 1787 wird im Journal ein Beitrag "Mode=Neuigkeiten in Auszügen aus Briefen" veröffentlicht[12]. Viele der Berichte beginnen mit einem Datum, so der Artikel "Londoner Mode-Neuigkeiten" im August 1787 mit dem Datum "London, den 6 Juni 1787"[13]; darin heißt es unter anderem: "Die größten Mode=Feste in London sind die Geburtstage des Königs und der Königinn; der letzte war vorgestern, und alles erschien bey der Cour in neuen Gala=Kleidern und ausserordentlichen Pracht." Ob der Korrespondent selber gegenwärtig war, oder ob er die Beschreibungen aus den Zeitungen entnommen hat, ist schwer einzuschätzen. Mit Sicherheit hat er die Zeitungen und Zeitschriften gelesen. Im Juli-Heft von 1787 findet sich unter "Londoner Miscellaneen" eine Beschreibung neuer elastischen Beinkleider, die einige Wochen vorher in der Morning chronicle erschienen war[6]. Unter denselben Miscellaneen werden Sehenswürdigkeiten beschrieben, die der Korrespondent selber besucht haben könnte: eine neue Kunstmaschine, in Merlins Grotte im Pantheon ausgestellt, "ein eiserner Wagen, eine sogenannte Oscillatory-Maschine vermittelst welcher ein Mensch [...] sehr bequem und sicher selbst schaukeln kann [...] eine Bewegung der Gesundheit sehr zuträglich". Außerdem wird auf Ashton Levers Museum, das "für den Preiss einer halbe Krone gezeigt" werde, hingewiesen sowie, was Bertuch besonders interessiert haben düfte, auf eine Ausstellung in der Straße "Strand" am 14ten Mai vom Londoner Polygraphische Societät mit der Absicht "eine ausserordentliche Erfindung zu unterstützen, eine von Joseph Booth erfundene Kunst, vermittelst welcher Gemählde in Oelfarben, durch eine chymische und mechanische Operation, ohne im geringsten das Original zu verletzen, können vervielfaltigt werden."

Am Ende des 18ten Jahrhunderts hielt sich eine große Anzahl Deutscher in London auf, darunter mehrere Buchhändler und auch Buchdrucker. In den neunziger Jahren gab es sogar eine deutsche Lesebibliothek[14]. Ein bedeutender deutscher Einwohner war in dieser Zeit Gebhard Friedrich August Wendeborn, der zwischen 1767 und 1793 in England ansäßig war und zwanzig Jahre Pastor einer deutschen Kirche auf Ludgate Hill in London wirkte. Er hatte im Jahre 1780 Beiträge zur Kenntnis Grossbritanniens herausgebracht, eine außerordentlich wichtige Beschreibung der englischen Zustände, und war zwischen 1779 und 1792 Londoner Berichterstatter für den Hamburgischen Korrespondent[15]. Ein anderer angesehener deutscher Schriftsteller in London dieser Zeit war der Übersetzer Johann Christian Hüttner (1766-1847), der für Bertuchs Zeitschrift London und Paris mehrere Artikel schieb[16]. Einige der Korrespondenten dürften begabte Künstler gewesen sein, welche die Skizzen für die Nachstiche von Georg Melchior Kraus und seinen Mitarbeitern lieferten.

Als Herausgeber begnügte sich Bertuch nicht immer damit, die ihm zugesandten Berichte lediglich abzudrucken. Abgesehen von Artikeln, die er selber schrieb, und in denen er den Geschmack, die wissenschaftlichen Entdeckungen und die liberalen Ideen der Engländer lobte, griff er immer öfter redigierend in die Artikel anderer ein, etwa wenn er im Oktober 1787 einem unter dem Titel "Drey Farben kleiden den Mann" veröffentlichten Beitrag über den männlichen Anzug[17] als "Nachschrift des Herausgeber" hinzufügte: "Wir haben die Mode Frack, Veste und Beinkleider, jedes Stück von anderer Farbe zu tragen, hauptsächlich aus England erhalten."

Wo waren in England die Menschen, die als Vorbilder für Bertuchs Tätigkeiten dienen könnten? Gab es in England Beispiele von kleineren Städten mit größeren Verlagsunternehmungen?

Vorher soll das Städtchen Weimar jenes Zeitalters kurz beschrieben werden. Weimar hatte 1773, als Bertuch in seine Heimatstadt zurückkehrte, etwa 6 000 Einwohner. Im Jahre 1820 war diese Zahl bis 8 673 gewachsen[18]. Sie war eine Residenzstadt des Fürsten, aber hatte sonst wenige Bedeutung. Die Universität des Fürstentums lag nicht in Weimar sondern in Jena. Erfurt war der Sitz des Bischofs, und die Bevölkerung dieser Stadt war schon im Jahre 1750 15 808[19]. Adam Henß, der als Buchbinder für Bertuch tätig war, schrieb im Jahre 1837: "Erst seit 30 Jahren steht Weimar in einer (immer noch nicht vollendeten) Chausseeverbindung mit dem übrigen Deutschland. Früher waren die Wege von Weimar nach Erfurt und von Weimar nach Jena oft lebensgefährlich [...] In früherer Zeit führte sogar nicht einmal eine Poststraße durch Weimar, sondern das Postpaket wurde auf dem Schubkarrn nach der Station Buttelstedt befördert"[20]. Von Industrie und Handel war kaum eine Spur. Karl Julius Weber berichtet 1828: "Es scheint, Bertuchs Industrie-Comptoir [...] sei das einzige, was sich von Industrie hier findet. Man scheint sich auf den Hof zu verlassen."

Nehmen wir als Vergleich Exeter, wie Weimar eine etwas isolierte Stadt etwa 300 Km von der Hauptstadt London entfernt. Mit 17 398 Einwohnern im Jahre 1801 war Exeter zweimal so groß wie Weimar und, er besaß, obwohl die Stadt kein Fürstensitz war, eine Kathedrale mit einem Bischofhof innerhalb der alten Stadtmauern. Exeter diente auch als Sitz der "Quarter Sessions", der Verwaltung der Grafschaft Devon. Es gab mehr Industrie in Exeter als in Weimar, obwohl sich die Textilindustrie zu jener Zeit in Neidergang befand. Um 1785 waren in Exeter vier Drucker, vier Buchhändler, mindestens ein Buchbinder und ein Kupferstecher tätig[21]. Keine dieser Druckereien waren groß, obwohl drei von ihnen in den achtziger Jahren eine Wochenzeitung herausbrachten. Diese regelmäßige wöchentliche Tätigkeit schien die Druckereien zu auszulasten, denn 1787 erschienen in Exeter nur wenige selbständige Titel, von denen sich nur zehn erhalten haben[22]. Davon befinden sich zwei Flugschriften über Hinrichtungen von Kriminellen in Exeter sowie kurze Predigten. Zwar gab es ein paar bedeutsamerer Ausgaben, so zum Beispiel die Übersetzung von Vincent Mignots vierbändiger Histoire de l'Empire Ottoman oder Barbarian cruelty, ein 260seitiger Bericht über die Sklaverei bei den Türken, den Thomas Troughton verfaßt hatte. Aber man findet keine Monats-Zeitschriften, keine Belletristik und keine wissenschaftlichen Werke. Die Buchhändler mußten sich die einschlägigen Werke in London besorgen, wie in den Anzeigen der Zeitungen zu entnehen ist. So lesen wir in der Exeter Flying Post am 28 April 1785, daß ein Vertreter des BuchhändlersShirley Woolmer Bücher in London für dessen neue Leihbibliothek gekauft hatte.

War Exeter vielleicht eine wenige rühmliche Ausnahme? Der englische Forscher John Feather bestätigt verallgemeinernd die Eindrücke, die man von Exeter gewinnt[23]. Der englische Buchhandel hatte sich während des achtzehnten Jahrhunderts dergestalt entwickelt, daß Bücher von London in die Provinzen gebracht wurden und nicht umgekehrt. Fast überall waren die Verleger in den Provinzen von geringer Bedeutung und auch in ihrer Ausstattung bescheiden. Viele verfügten über nur eine einzige Presse, obwohl Zeitungsverleger oft mehrere besaßen[24]. Im Jahre 1799 zum Beispiel hatte Myles Swinney in Birmingham vier Pressen für seine Birmingham Chronicle, Thomas Aris Pearson ebenfals in Birmingham hatte fünf für seine Zeitung. Kein anderer Drucker in Birmingham schien damals mehr als zwei Pressen zu besitzen. Ausnahmen stellen natürlich die Universitätsstädte von Oxford und Cambridge dar, und auch Warrington im Norden Englands, wo William Eyres die Schriften von Lehrern der bedeutsamen nonkonformistischen Akademie druckte, wie die des Wissenschaftlers Joseph Priestley und von Johann Reinhold Forster, des Vaters von George Forster[25]. Außer der Werken der nonkonformistischen Protestanten bewahrte die Provinzpresse auf den Gebieten Medizin und, wie zu erwarten, Heimatgeschichte, etwas mehr Unabhängigkeit von der Hauptstadt.

Angesichts solch kleiner Betrieben muß man Vorbilder für Bertuchs Unternehmungsgeist eher in London suchen. London gehörte zu den größten Zentren des Buchhandels in Europa. Im Jahre 1781 zählte Antoine Perrin in seinem Almanach de la librairie 73 Drucker und Buchhändler in London[26]. Dagegen zählte Leipzig 39, Berlin 19, Brüssel 11, Madrid 18, Venedig 16, Den Haag 18, Lissabon 18, und Genf 19. Innerhalb Frankreich, wo Perrins Buch erschien, zählte Toulouse 25, Rouen 40, Lyon 46, und Nancy 27. Nur Paris mit 184 besaß mehr Drucker und Buchhändler als London. Weimar hatte mit Hoffmann bloß einen Buchhändler. Natürlich sind diese Listen nicht vollständig, doch geben sie einen ersten Überblick. Im Jahre 1785 zum Beispiel zählte John Pendred in seinem London and country printers, booksellers and stationers vade mecum 124 Drucker und etwa 200 Buchhändler in London,[27] mehr als viermal soviel wie Perrin.

Unter den vielen Namen in London befanden sich natürlich bedeutende Buchhändler und Drucker. William Strahan (1715-85) gehörte in jener Zeit zu den wichtigsten Unternehmern in London. Im Jahre 1766 erwarb er ein Drittel des Betriebs der königlichen Druckerei. Er druckte die Zeitung London chronicle und brachte viele der bedeutendsten Schriften jener Zeit heraus, zum Beispiel The decline and fall of the Roman empire von Edward Gibbon und The wealth of nations von Adam Smith. Er unterhielt bis neun Pressen während Bertuch über sechs Pressen verfügte[28].

Ein anderer führender Buchhändler dieser Zeit, der etwas von der vielseitigkeit Bertuchs aufweist, war John Bell (1745-1831). Im Jahre 1766 erwarb er die British Library in der Straße namens Strand, die eine der bedeutendsten Leihbibliotheken in London wurde. In den 70er Jahren brachte er mehrere Reihen billiger Nachdrucke heraus, die teilweise in York und Edinburgh gedruckt waren, so unter anderem The British theatre 1776-78 in 21 Bänden und The poets of Great Britain 1777-82 in 109 Bänden. Die letztgenannte Reihe stand in Konkurrenz zur Reihe British poets, die von einem Verband Londoner Verleger herausgebracht wurde, mit Einleitungen von Samuel Johnson, der die Tätigkeiten dieses "Robin Hoods" als Raubdrucker ablehnte. Bell war seiner erzieherisher Rolle, gute Literatur zu mäßigen Preisen zu liefern, sehr bewußt, aber er versuchte auch seine Leser in den verschiedenen Zeitungen, die er außerdem herausbrachte, zu unterhalten. Die Seiten seiner Zeitung The oracle waren leichter, ja frivoler, als frühere Zeitungen und er gründete die erste illustrierte Modezeitschrift in England, "La Belle Assemblée" (ein Wortspiel mit Bells eigenem Namen). Er sorgte auch für die Verbesserung der äußeren Erscheinung seiner Drucke, und machte viele Verbesserungen in der Typographie. Im Jahre 1785 war er der erste englische Drucker, der das lange S abschaffte, und 1788 begründete er die British Letter Foundry mit Richard Austin als Schriftgießer[29].

Persönlichkeiten wie Bell und Strahan waren jedoch Ausnahmen. Die meisten Unternehmungen in London waren klein. Am Anfang des 19ten Jahrhunderts besaßen die Londoner Drucker durchschnittlich 2,7 Pressen. Von 139 Londoner Druckern, die mehr als eine Presse zwischen 1799 und 1849 von den Behörden registrieren ließen, verfügten nur acht über mehr als die sechs Pressen, die Bertuchs Unternehmen zur gleichen Zeit benutzte[30].

Und auch die großen Londoner Unternehmer waren Bertuch nicht immer voraus, und ließen ihre Bereitschaft erkennen, an Fortschritte des Kontinents anzuknüpfen. Sogar Bell schrieb in dem Prospectus für seine neue Lettern im Jahre 1788:

"Ich habe mit Bedauern gesehen, daß die Druckkunst in England sehr vernachläßigt ist, und daß sie sich immer noch in einem Zustand des Niedergangs befindet [...] Angesichts des mangelnden Interesses Englands an diese Kunst [...] ist es bemerkenswert, daß Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland sich um die Ehre der Presse streiten ..."
In der Tat war Bell nicht der erste in Europa, der das "lange S" abchaffte. Schon in den 70er Jahren hatten Bodoni in Italien, Ibarra in Spanien und Didot in Frankreich neue Lettern ohne "langes S" gegoßen. Und Bells Modezeitschrift La Belle Assemblée wurde erst 1806 begründet - fast zwanzig Jahre nach Bertuchs Journal.

Vielleicht kann man aber englische Vorbilder für einige der besonderen Schwerpunkte Bertuchs, wie die Erziehungsliteratur finden. In London war John Newbery (1713-67) der große Bahnbrecher im Bereich der Kinderliteratur, der von seinem Laden im Kirchhof von St. Paul's eine ganze Reihe kleiner Bücher für kleine Leser herausbrachte. Newbery, der von Reading nach London 1744 umgesiedelt war, gab seinen Waren bunte Pappeinbände und anziehende Titel, wie Goody two-shoes, die Gigantick histories, die in Wirklichkeit winzige Bändchen waren oder Lilliputian magazine, die erst Zeitschrift für Kinder. Er versuchte nicht nur zu unterrichten, sonder auch zu unterhalten. Seine Werbung sehr geschickt gemacht, so erwähnte er im Text der Geschichten andere Ausgaben seiner Firma. Doch waren die meisten Bücher, die Newbery, seine Partner und Nachfolger, Thomas Carnan und John Harris sowie Mitbewerber wie Darton und Harvey oder Dicey und Marshall herausbrachten lediglich schmale Bändchen. Zwar waren sie öfters illustriert, aber die Kupferstiche bzw. - häufiger - Holzschnitte waren nicht immer für das betreffende Werk entworfen, sondern wurden wiederholt verwendet. Zu einem großen Fortsetzungswerk mit eigen gestochenen Illustrationen von hoher Qualität und wissenschaftlicher Genauigkeit wie Bertuchs Bilderbuch für Kinder gab es in England kaum eine Entsprechung. Auch gibt es keine Parallele zu Gasparis geographischen Projekten. Erst im Laufe des 19ten Jahrhunderts gibt es bei Verlegern wie John Harris (1756-1846) Lehrbücher von besserer Qualität[31].

Betrachten wir eine andere Spezialität Bertuchs, die Geographie, oder genauer: die Kartographie. Als er 1807 die Topgraphisch-militärische Karte Deutschlands began, hatte er zwar Reyman in Berlin im Blickfeld, aber dieser hatte zwei Jahre zuvor mit einem ähnlichen Projekt angefangen, und mußte bald aufhören, als Berlin von den Franzosen besetzt wurde[32]. In England war der Ordnance Survey als Verwaltungsabteilung schon 1791 gegründet worden, und die ersten Blätter, die die Grafschaft Kent abbildeten, erschienen 1801. Kurz danach entschloß sich der Ordnance Survey, die Grenzen der Grafschaften nicht mehr zu beachten und eine einheitlich numerierte Serie im Maßstab eine Miele zu einem Zoll (1:63.360) für das ganze Reich herauszubringen. Bis 1822 sind nur 38 - allerdings große - Blätter erschienen, die den Südteil von England abdeckten. In dieser Zeit hatte Bertuchs Geographische Institut in Weimar etwa 400 - kleinere - Karten im Maßstab von 1:180.000 veröffentlicht, die das ganze deutsche Gebiet abdeckten. Erst 1869 beendete der Ordnance Survey die Landkarte von England und Wales[33].

Ein besseres und älteres Vorbild gab es in Frankreich. Schon 1744 hatte César François Cassini de Thury die Dreiecksaufnahme des Königreichs begonnen. Während einer kurzen Zeit erheilt er in den vierziger Jahren offizielle Unterstützung, aber nachdem diese Subvention 1756 aufhörte, sah er sich gezwungen, ein kommerzielles Geschäft zu gründen, das die weitere Vermessung durch Verkauf der fertigen Karten finanzierte. Cassini starb 1784, nachdem er ganz Frankreich außer der Normandie und der Bretagne im Maßstab von 1:86.400 vermessen hatte. Die Aufgabe wurde von seinem Sohn Jacques Dominique zu Ende geführt. Die vollständige Reihe von 180 Karten konnte im Jahre 1789 der Assemblée Nationale vorgelegt werden[34]. Der Ordnance Survey liferte im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts mit seiner Karte im Maßstab von 1:2.500 bzw. 1:10.560 für unbewirtschaftete Gegenden die ausführlichste Vermessung Europas lieferte. Zu Bertuchs Zeit gab es für dessen Karten keine Entschprechung in England, das nur eine Reihe unzusammenhängender Landkarten einzelner Grafschaften aufweisen konnte.

In diesem - wenn auch flüchtigen - Überblick ist uns kein englisches Vorbild vor Augen gekommen, das der Vielseitigkeit Bertuchs gleichkommt, auch nicht in der Weltstadt London. Man muß sich fragen, wie Bertuch in einer so kleinen Stadt wie Weimar so Bedeutendes leister knoote. Die Anwesenheit der schönen Geister scheint nicht besonders dazu beigetragen zu haben. Goethes und Schillers Werke wurden von Göschen in Leipzig und später Cotta in Tübingen herausgebracht. Göschen veröffentlichte auch viele Werke von Wieland, der sich höhnisch über Bertuchs Journal des Luxus und der Moden äußerte. In Berlin druckte Unger auch viele Werke der klassischen Weimarer Autoren. Einen möglichen Grund für Bertuchs Erfolg sprach Goethe indirekt gegenüber Eckermann am 20. Oktober 1828 an:

Gesetzt, wir hätten in Deutschland seit Jahrhunderten nur die beiden Residenzstädte Wien und Berlin, oder gar nur eine, da möchte ich doch sehen, wie es um die deutsche Kultur stünde, ja auch um eine überall verbreiteten Wohlstand, der mit der Kultur Hand in hand geht. Deutschland hat über zwanzig im ganzen Reiche verteilte Universitäten und über hundert ebenso verbreitete öffentliche Bibliotheken [...] denn jeder Fürst hat dafür gesorgt, dergleichen Schönes und Gutes in seine Nähe heranzuziehen.[35]
Die dezentrale Förderung von Kultur und Industrie durch die Fürsten der einzelnen Territorien wirke völlig anders als die Zentralisierung in England. Kommerzielle Unternehmungen konnten vielleicht in kleineren Residenzstädten etwas leichter gedeihen als in England. Aber das allein kann nicht alles erklären. Bertuch verdankte seinen Erflog hauptsächlich seinem unerschöpflichen Unternehmungsgeist. Von England aus kann man diese Faust-Figur, die in Weimar immer strebend sich bemühte, nur bewundern.

1. Bertuch, Friedrich Justin. Ueber die Wichtigkeit der Landes-Industrie-Institute für Teutschland nebst einem Worte an Teutschland. 2te Aufl. (Weimar, 1814).

2. Journal des Luxus und der Moden [JLM] , 2 (1787), 55-62.

3. JLM, 2 (1787), 73-89

4. JLM, 2 (1787), xxv.

5. JLM, 2 (1787), 134-9.

6. "Londoner Miscellaneen". In: JLM, 2 (1787), 238-43.

7. Robson-Scott, W.D. German travellers in England 1400-1800 (Oxford, 1953), 117 et seq.

8. Bielefeld, Jacob Friedrich von. Lettres familières et autres (La Haye, 1763). Sturz, Helfrich Peter. "Briefe, im Jahre 1768 auf einer Reise im Gefolge des Königs von Dänemark geschrieben". In: Schriften (Leipzig, 1779). Lichtenberg, Georg Christoph. "Briefe aus England". In: Deutsches Museum, 1776-78. Fabricius, Johann Christian. Briefe aus London vermischten Inhalts (Dessau; Leipzig, 1784).

9. Moritz, Carl Philipp. Reise eines Deutschen in England im Jahre 1782 (Berlin, 1783). La Roche, Sophie von. Tagebuch einer Reise durch Holland und England (Offenbach, 1788).

10. Archenholz, Johann Wilhelm von. England und Italien (Leipzig, 1785)

11. JLM, 2 (1787), xli

12. JLM, 2 (1787), 314f.

13. JLM, 2 (1787), 262-7.

14. Jefcoate, Graham. "The Deutsche Lese-Bibliothek and the distribution of German books in London". In: Library, 6 ser, vol. 9, no. 4 (Dec 1987), 347-64.

15. Robson-Scott, W.D. (1953), 163-7.

16. Für den Hinweis danke ich Doris Kühles (Brief, 1997).

17. JLM, 2 (1787), 331-9.

18. Kaiser, Paul. Das Haus am Baumgarten. Teil 1. (Weimar, 1980), 6-7.

19. Gieseke, Hans. Das alte Erfurt, (1972), 179.

20. Henß, Adam. Die Stadt Weimar, ihr Communwesen und ihre städtischen Institute,(1837)

21. Maxted, Ian. The Devon book trades: a biographical dictionary (Exeter, 1991).

22. Maxted, Ian. Books with Devon imprints: a handlist to 1800 (Exeter, 1989).

23. Feather, John. The provincial book trade in eighteenth century England (Cambridge, 1985), 115.

24. Feather (1985), 99-100.

25. O'Brien, Padraig. Eyres' press Warrington 1756-1803: an embryo university press (Wigan, 1993).

26 Perrin, Antoine. Almanach de la librarie: réimpression anastatique de l'édition de 1781, préface par Jeroom Vercruysse (Aubel, 1984).

27. Pendred, John. The earliest directory of the book trade (1785) , edited by Graham Pollard (London, 1785).

28. Cochrane, J.A. Dr Johnson's printer: the life of William Strahan (London, 1964).

29. Morison, Stanley. John Bell, 1745-1831 (Cambridge, 1930).

30. Todd, William B. A directory of printers and others in allied trades, London & vicinity 1800-1840 (London, 1972).

31. Whalley, Joyce Irene. Cobwebs to catch flies: illustrated books for the nursery and schoolroom 1700-1900 (London, 1974), 13-14, 113 et seq.

32. Arnhold, Helmut. Das Geographische Institut zu Weimar: Wissenschaft und Industrie (Weimar, 1984), 15-16.

33. Seymour, W.A. ed. A history of the Ordnance Survey (Folkestone, 1980).[Harley, John]

34. Prévost, M. César François Cassini. Dictionnaire de biographie française, bd. 7 (1956), 1328-1329.

35. Eckermann, J.P. Gespräche mit Goethe, (Berlin, 1922), 472.